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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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W.E. Fthenakis, R. Niesel& R. Oberndorfer ­

lie und eine sich verstärkende Nachfrage durch die Betroffenen initiiert worden (Brown 1976).

Beratungskonzepte lassen sich vorneh­men, indem man unterscheidet zwischen

1. einem umfassenden Beratungsange­bot, also einem Interventionsansatz, der für jeden Abschnitt des Schei­dungsprozesses bzw. für die gesamte Dauer der familialen Umstrukturie­rung und Neuorganisation so angelegt ist, daß sowohl eine problembezoge­ne(zeitlich gesehen eher kurze) Bera­tung als auch eine längere familienbe­gleitende Arbeit möglich ist, und

. schwerpunktzentrierten Beratungs­und Hilfsangeboten, die sich auf be­stimmte Problemstellungen oder be­stimmte Phasen des Scheidungspro­zesses konzentrieren.

Das erstgenannte Konzept birgt alle Vor­teile einer institutionalisierten Bera­tungsstelle: Auf der Basis einer sorgfäl­tig entwickelten, wissenschaftlich fun­dierten Arbeitsgrundlage und eines fach­lich wohlqualifizierten, interdisziplinä­

ren Teams kann bezüglich der Bera­tungsinhalte wie-formen flexibel auf die Bedürfnisse der Ratsuchenden eingegan­gen werden. Die Beratungsstellen des Stuttgarter Modells, des Münchner Familien-Notrufs und desTrialogs in Münster gelten in der Bundesrepublik als Vertreter eines solchen Konzeptes. Am prozeßhaften Geschehen orientierte Beratungsinhalte lassen sich aber auch in scherpunktbezogene Beratungsinhalte sinnvoll umsetzen, wobei therapeutische Aspekte zwangsläufig in den Hinter­grund treten. Diese Interventionsansätze haben in der Bundesrepublik Deutsch­land erst wenig Aufmerksamkeit gefun­den. Orientiert an den Phasen des Schei­dungsgeschehens sollen hier einige Pro­jekte kurz vorgestellt werden.

Die Zeit vor der Scheidung, genauer ge­sagt, die Zeit bis zum Scheidungsent­schluß, wird häufig als Ambivalenzphase bezeichnet. In dieser Phase berühren sich die Inhalte der Ehe- und Scheidungs­beratung. Ein wichtiger Beratungsinhalt ist dabei sicherlich die Vermittlung eines realistischen Bildes davon, was eine Scheidung ist, welche Fragen zur Rege­

Die Bedeutung des Vaters in geschiedenen und wiederverheirateten Familien

lung anstehen und was nach einer Schei­dung kommt.

Ein Beispiel für einen Ansatz mit einem solchen Schwerpunkt ist eine sechswö­chige Veranstaltungsreihe, ein sogenann­terDivorce Workshop(Davidoff& Schiller 1983), der Scheidung als ein krisenhaftes Übergangsstadium behan­delt, in dem ein Hauptanliegen aber die Vermittlung konkreter Informationen (betreffend rechtliche Aspekte, die Si­tuation der Kinder, neue Aufgabenstel­lungen, zu erwartende Schwierigkeiten) ist, um einerIdealisierung der Schei­dung entgegenzuwirken.

In den Vereinigten Staaten gibt es in­zwischen eine Vielzahl von Projekten, die direkt an Familiengerichte angebun­den sind. So entwickelte sich das Con­ciliation Court System(vergleiche Elkin 1962, 1977; Foster 1966), also Bera­tungsstellen am Familiengericht, die Konfliktlösungsversuche unternehmen und wenn eine Versöhnung nicht er­reicht werden kann auch die Erarbei­tung der finanziellen sowie der Sorge­rechts- und Umgangsrechtsregelungen einschließt. Während die meisten Bera­tungsstellen als freiwilliges Angebot be­stehen, ist am Family Court of Allen Country, Indiana, jeder, der eine Schei­dung einreicht, verpflichtet, an einem vierstündigen Beratungsprogramm teil­zunehmen, sofern minderjährige Kinder von der Scheidung betroffen sind. Interessant ist der Einstellungswandel der Teilnehmer an dieserZwangsbera­tung(Young 1979a): Von einer nega­tiv-ablehnenden Haltung wandelte sich die Einstellung zu einer allgemeinen Zu­friedenheit. Positiv beurteilt wurden(a) die konkrete Infromationsvermittlung und(b) die Unterstützung durch die Gruppe. Bei einer Nachuntersuchung nach 3 Monaten(Young 1979b) wünsch­ten sich über 50% der Teilnehmer weite­re Hilfen durch ein ähnliches Angebot. Eines der richtungsweisenden Modelle im Rahmen friedlicher Strategien im Scheidungsvorfeld ist das Mediation­Konzept(Coogler 1978; Haynes 1978). Scheidungsentschlossene Ehepartner können nach diesem Programm mit Hil­fe eines Beraters eigenverantwortlich ein rechtsverbindliches Übereinkommen er­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988

arbeiten, in dem die Lösungen strittiger Probleme(wie Eigentums-, Unterhalts­und Sorgerechtsfragen) festgeschrieben werden. Der große Vorteil dieses Kon­zeptes liegt wohl darin, daß die Beteilig­ten noch im Scheidungsvorfeld aktiv und verantwortlich an der Gestaltung der Nachscheidungssituation beteiligt sind, Aufgabenverteilungen regeln und Handlungsstrategien entwickeln können. Der Zeitraum zwischen dem Scheidungs­entschluß und der juristischen Schei­dung wird in seiner Bedeutung für eine familienorientierte Beratungsarbeit bei weitem zu wenig genutzt. Die Weichen­stellung für die Qualität der familiären Beziehungen nach der Scheidung sowie die Entwicklung der Rahmenbedingun­gen wird im Scheidungsvorfeld eingelei­tet. Dies gilt auch und ganz besonders für die Regelung der elterlichen Verant­wortung. Die in strittigen Fällen noch immer obligatorische Suche nach dem besseren Elternteil einerseits, und die Geringschätzung der Bedeutung des Um­gangsrechts andererseits haben allerdings ein ungünstiges Klima für die konstrukti­ve Arbeit im Sinne der Elternverantwor­tung geschaffen.

Durch die systemorientierte Sichtweise und die daraus abgeleitete veränderte Sicht familialer Beziehungen nach einer Scheidung(vergleiche auch Beal 1981), die gewachsene Sensibilität für kindliche Bedürfnisse im Scheidungskonflikt und nicht zuletzt durch die Möglichkeit der Beibehaltung der gemeinsamen elterli­chen Sorge nach einer Scheidung öffnet sich nun aber ein für die kommenden Jahre wichtiges Beratungsfeld. Erste Er­fahrungen hierzu liegen bereits vor. So berichtet Duss-von Werdt(1985) über ein interdisziplinäres Symposium zu Sorgerechtsfragen und Alternativen der Konfliktlösung. Als ein bereits erfolg­reich praktiziertes Modell der Schei­dungsberatung wurde ein systemischer Ansatz zur Sorgerechtsregelung vorge­stellt(Gasser 1985).

Zur weiteren Verdeutlichung der Mög­lichkeiten soll das Modell zur Beratung von Familien in Sorgerechtsfragen dar­gestellt werden, wie es zur Zeit am Staatsinstitut für Frühpädagogik und Fa­milienforschung in München entwickelt

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