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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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W.E. Fthenakis, R. Niesel& R. Oberndorfer ­

und erprobt wird. Dieses Modell stellt eine Integration von bis jetzt noch weit­gehend getrennt praktizierten Interven­tionsaspekten dar:

1. der Intervention des Sachverständi­gen in Familienrechtssachen, wie sie bislang in institutionalisierter Form vorgenommen wurde, und

2. der beratenden Intervention.

Empirische Ausgangsbasis ist die Er­kenntnis, daß die Qualität der Bezie­hung des Kindes zu beiden Eltern nach deren Trennung den entscheidenden Faktor für die Anpassung der Kinder an die Nachscheidungssituation und für ih­re weitere positive Entwicklung dar­stellt(Hetherington, Cox& Cox 1978; Wallterstein& Kelly 1980; Wallterstein 1984, 1985;einen Überblick geben Fthe­nakis, Niesel& Kunze 1982), daneben aber auch, daß Regelungen vor allem dann funktionieren, wenn sie den Be­dürfnissen aller Familienmitglieder wei­testgehend entsprechen.

Ziel des Interventionsansatzes muß es daher sein, die Bereitschaft und Fähig­keit der Eltern, kindzentriert zu koope­rieren, zu erhöhen und ihnen zu helfen, elterliche Verantwortung und damit el­terliche Autonomie wiederzugewinnen. Unter dieser Zielsetzung kann der Sach­verständige nicht mehr lediglich Helfer zur Entscheidungsfindung des Gerichts sein, sondern muß sich vielmehr unmit­telbar in den Dienst der betroffenen Fa­milie stellen.

Somit besteht seine Funktion nicht dar­in, nach Unterschieden in der Erzie­hungseignung der Eltern, mit anderen Worten nach dembesseren Elternteil zu suchen und mit methodisch abgesi­cherter Diagnostik letztlich über eine Disqualifizierung eines Elternteils dessen elterliche Verantwortung zum Nachteil des Kindes unangemessen zu reduzieren, bei gleichzeitiger Belastung des anderen Elternteils mit der alleinigen Verantwor­tung. Vielmehr gilt es, bei Beratungsin­halten und Vorgehensweise Gemeinsam­keit zu betonen und zu vermitteln, so­wie Bedingungen zu schaffen, die ge­meinsames Handeln im Interesse der Kinder wiederum möglich zu machen. Dementsprechend wurde der Interven­

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Die Bedeutung des Vaters in geschiedenen und wiederverheirateten Familien

tionsansatz folgendermaßen operationa­

lisiert:

1. Trennung der Partnerebene von der Elternebene und dabei die Vermitt­lung begründeter Bewertungsmuster sowohl für die Partnerbeziehung als auch für die Elternbeziehung mit der Intention, das Konfliktniveau der El­tern zu senken und die Zusammenar­beit auf der Elternebene zu fördern;

2. Vermittlung der Perspektive des Kin­des und der Konsequenzen möglicher Sorgerechtsregelungen für dessen wei­tere Entwicklung mit der Intention, das Kindeswohl als Richtlinie in den Mittelpunkt gemeinsamer Entschei­dungsfindung zu stellen;

3. Bewertung von Übereinstimmung und Unterschieden in Erziehungszielen und Erziehungsverhalten der Eltern nicht im Rahmen desKonfliktmo­dells, sondern auf der Basis eines Optimierungs-Ansatzes mit Betonung der erweiterten Sozialisationschancen des Kindes;

4. Diskussion und Reflexion konkreter Formen der Ausgestaltung von Sorge­rechtsmöglichkeiten auf der Grundla­ge antizipierter familialer Gegebenhei­ten nach der Scheidung und hinsicht­lich der Möglichkeiten für beide El­tern, Elternverantwortung wahrzu­nehmen. Die Intention ist hier, die Aufmerksamkeit der Eltern von der aktuellen Scheidungs- und Konflikt­situation auf die Erfordernisse der Nachscheidungssituation zu lenken und eine realistische Planung zu er­reichen;

5. Wahl eines Sorgerechtsmodells, das den individuellen Bedürfnissen der Fa­milienmitglieder, ihren familiären Be­ziehungen und Rahmenbedingungen entspricht;

6. konkrete Ausgestaltung des gewähl­ten Sorgerechtsmodells einschließlich der Zuordnung elterlicher Funktio­nen und Verantwortlichkeiten und deren schriftliche Fixierung mit der Intention, eine eindeutige und ver­bindliche Handlungsrichtlinie zu er­stellen.

Bestandteile der schriftlich fixierten Re­gelung sind:

a) Wohlverhaltensklauseln, die helfen sollen, das Vertrauen zwischen den Eltern wieder zu festigen;

b) die Einzelheiten der vereinbarten Sor­gerechtsregelung einschließlich der Modalitäten der Betreuung und des Umgangs;

c) gegebenenfalls ein Beratungsmodell für die Nachscheidungssituation; in jedem Falle eine Schlichtungsklausel, die bei neu auftretenden kritischen Situationen bei der Umsetzung der Vereinbarung in die Praxis etwa eine Beratung oder Vermittlung durch den Sachverständigen vorsieht, wenn die Eltern die Situation nicht eigen­verantwortlich meistern können.

Vereinbarungen über die Inanspruchnah­me weiterer Beratung oder die Aufnah­me der Schlichtungsklausel machen den familienbegleitenden, dem prozeßhaften Geschehen der Scheidung angemessenen Charakter der Interventionsform deut­lich.

Für die Familie beinhaltet dieser Inter­ventionsansatz damit nicht nur Entschei­dungshilfe in einer bestimmten Situa­tion, sondern einen komplexeren Lern­prozeß, in dessen Verlauf die Kompe­tenz der Familienmitglieder hinsichtlich kindbezogener Kommunikation, Koope­ration und Erarbeiten von Problemlö­sungen erweitert wird. Die Erweiterung dieser Kompetenzen kann die Autono­mie der Familie in neu entstehenden Krisensituationen stärken und ihr hel­fen, das Sorgerechtsmodell in seiner Konkretisierung veränderten familialen Bedingungen, wie sie zum Beispiel bei einer Wiederheirat eines oder beider El­ternteile gegeben sind, anzupassen(wei­tere Ausführungen finden sich in Fthe­nakis 1986).

Die Zufriedenheit der Familienmitglie­der der im Staatsinstitut für Frühpädago­gik und Familienforschung betreuten Familien war sechs Monate nach der Übernahme des gewählten Sorgerechts­modells relativ hoch. Bemerkenswert war die realistische Einschätzung ihrer Situation und die dabei zum Tragen kommende vergleichende Beurteilungs­strategie. Sie wogen Vor- und Nachteile des eigenen Sorgerechtsmodells im Ver­gleich zu anderen Modellen ab. Beson­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988