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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Herbert Schmid- Mediatorenkonzepte was gibt es Neues?

Im großen ganzen sind die Elterntrai­nings verhaltenstheoretisch orientiert. Dies schließt aber nicht aus, daß sich auch psychodynamische oder klienten­zentrierte Ansätze entwickelten wie et­wa die Filial Therapy von B.G. Guerney (1964). Einen Überblick über den For­schungsstand geben Perrez(1980) und Minsel(1984).

Während für die psychologischen Prakti­ker immer mehr didaktische Materialien für Kursgestaltungen entwickelt wurden, haben auch die Forscher nicht geruht. Bis heute haben sie eine ganze Reihe von Spezialfragen erforscht, etwa: Wo ist Elterntraining indiziert? Wie müssen Elterngruppen zusammengestellt sein? Wie können mit Gastarbeitern Eltern­trainings durchgeführt werden? Wie hilft Elterntraining bei den verschiedensten Störungen(Behinderungen, Lern- und Leistungsstörungen, Aggressivität, De­linquenz, Sucht, neurotischen und psy­chotischen Störungen)? Evaluationen konnten zeigen, daß die therapeutische Elternarbeit eine wirksame Methode ist, bei Kindern Probleme zu lösen. Ein um­fassendes Standardwerk über Forschung und Praxis des Elterntrainings haben Dangel und Polster(1984) in Amerika herausgegeben. Über die Literatur dazu im deutschsprachigen Raum orientiert die kommentierte Spezialbibliographie Elternberatung und_Elterntraining (1987).

Eine neue Sichtweise: Das Mediatorenkonzept muß an die Alltagspsychologie anknüpfen

Therapeuten, die sich von wissenschaft­lichen Erkenntnissen leiten lassen woll­ten, haben sich in der Arbeit mit Media­toren immer wieder daran gestoßen, daß Lehrer und Eltern so theoriefeindlich sind. Umgekehrt haben die Erzieher die Fachleute mit ihren Ratschlägen oft als weltfremd erlebt. Die Kluft zwischen Wissenschaft und Erziehungsalltag kann jedoch verringert werden, wenn der Er­ziehungsberater oder Kindertherapeut die immer schon vorhandenen alltags­psychologischen Theorien der Erzieher erkennt und weiß, wie sie aufgebaut

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sind, welche Funktion sie haben, wie sie sich von den wissenschaftlichen Theo­rien unterscheiden und welches ihre Vor-, aber auch Nachteile sind.

Auf die Bedeutung der Alltagspsycholo­gie im Mediatorenmodell haben erstmals M. Perrez u.a. in ihrer PublikationEr­ziehungspsychologische Beratung und Intervention als Hilfe zur Selbsthilfe in Familie und Schule(1985) aufmerk­sam gemacht: Sollen Mediatorentrai­nings auf fruchtbaren Boden fallen, dür­fen Eltern und Lehrern nicht gleichsam von außen wissenschaftliche Theorien aufgepfropft werden, wie dies bisher vielfach geschehen ist. Was vermittelt wird, muß vielmehr an ihre Alltagserfah­rungen und an ihr alltagspsychologisches Wissen anknüpfen. Denn was sich im Kontext der Wissenschaft bewährt hat, kann im Erziehungsalltag sehr wohl auf Ablehnung stoßen, wenn nicht die Brük­ke zu den subjektiven Theorien der El­tern und Lehrer geschlagen werden kann. Was sich Eltern schon überlegt und an Lösungen versucht haben, oder wie ein Lehrer aufgrund seiner Ausbildung, sei­ner Berufs- oder Lebenserfahrung ein Problem schon erklärt und angeht, muß in die Wissensvermittlung einbezogen werden. Die Schrift von Perrez et al. (1985) versucht in konsequenter Weise, die Alltagspsychologie der Erzieher zum Ausgangspunkt der Intervention zu ma­chen. So werden Erzieher ernst genom­men. Sie werden dort abgeholt, wo sie stehen. Das Alltagswissen der Bezugsper­sonen der Kinder wird dabei nicht durch wissenschaftliches ersetzt, sondern diffe­renziert und korrigiert. Die große Kunst wird bleiben, dies so zu tun, daß keine Abwehr entsteht.

Daß das Alltagswissen der Erzieher ernst genommen und rehabilitiert wird, ist höchste Zeit. B. Thommen(1985) konn­te nämlich in seiner Untersuchung zur Alltagspsychologie von Lehrern über verhaltensauffällige Schüler zeigen, daß alltagspsychologisches Wissen nicht nur bedeutsam für das erzieherische Denken und Handeln und den Umgang mit Ver­haltensproblemen ist, sondern daß es auch nützlich und weit komplexer ist als bisher in der psychologischen Fachlite­ratur vermutet: wie in den sozialkogniti­

ven Lerntheorien finden sich auch in den subjektiven Theorien Modellkompo­nenten der Person-Situation-Interaktion.

Elterntraining im Wandel: Neue Inhalte, neue Ziele, neue Methoden

Worin unterscheiden sich nun die neue­ren von den klassischen Elterntrainings­programmen? Exemplarisch wird es er­sichtlich an einem der ersten Trainings­programme für Eltern und Elternkurse, demElternverhaltenstraining von Per­rez, Minsel& Wimmer(1974), das 1985 verändert und erweitert unter dem Titel Was Eltern wissen sollten neu erschie­nen ist.

Zuerst: Was hat sich bewährt und ist ge­blieben? Geblieben ist das didaktische Prinzip, in einem Leseteil praxisnah das Wissen zu vermitteln, wie unerwünschtes Kindverhalten abgebaut und erwünsch­tes aufgebaut werden kann, und in ei­nem Übungsteil die Möglichkeit zu ge­ben, das Gelernte einzuüben und auf die eigene Situation anzuwenden. Inhaltlich sind als Eckpfeiler geblieben: Die Grund­prinzipien des Lernens(positive und ne­gative Verstärkung, Bestrafung, Modell­lernen), Wertschätzung und geringe Len­kung als erwünschte Erziehungsstile ge­mäß der Erziehungspsychologie von R. und A. Tausch(1979) und das Konflikt­lösungsmodell von T. Gordon(1972), die niederlagslose Methode der Konflikt­lösung.

Was neu dazugekommen ist, widerspie­gelt die Entwicklung der Autoren und auch der Verhaltenstherapie in den letz­ten Jahren: Kognitives wird auch als ver­haltenssteuernd erkannt. Die Attribu­tionstheorien werden einbezogen. Es wird gezeigt, wie wichtig es ist, was der Erzieher über sich selbst und die Kinder denkt(selbsterfüllende Prophezeihung!) und welche Ursachenzuschreibung er vornimmt(Locus of Control: interna­ler, externaler, variabler, stabiler Erklä­rungsstil). Im praktischen Teil kann mit einem Fragebogen zur Ursachenzuschrei­bung für sich selbst und die Kinder er­hellt werden, wie attribuiert wird. Erzie­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988