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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Herbert Schmid- Mediatorenkonzepte was gibt es Neues?

hungspsychologische Prophylaxe wird als Differenzierung von Alltagstheorien konzipiert(vgl. Perrez 1987).

Es ist nicht mehr nur die Verhaltens­theorie, die in den Kurs einfließt, son­dern auch ausgewähltes erziehungsrele­vantes Wissen aus anderen Bereichen der Psychologie. So wird auf die Wichtigkeit der Kontroll- und Kompetenzerfahrung in der frühen Kindheit und die Rolle der Eltern beim Aufbau der Leistungsmoti­vation bei Kindern im Schulalter einge­gangen.

Als Ziel wird nun nicht mehr einfach Verhaltensänderung angestrebt. Neu wird ausdrücklich von Erziehung zur Selbständigkeit und_Selbstverantwor­tung gesprochen. Es werden auch Ziele zur Sexualerziehung aufgeführt. Der Er­zieher seinerseits wird verstärkt angehal­ten, seine eigene Erziehungspsychologie zu untersuchen und zu erkennen, wel­che alltagspsychologischen Vorstellun­gen sein Handeln beeinflussen und mit welcher impliziten Erziehungspsycholo­gie er sein Handeln rechtfertigt. Methodisch wird mehr Gewicht auf die Selbsterfahrung gelegt. Der systemati­sche Teil wird neu ergänzt durch einen problembezogenen, der sich an den ver­schiedenen kritischen Phasen der Ent­wicklung orientiert. Einprägsame hu­moristische Zeichnungen helfen zusätz­lich, besseres Erziehungsverhalten rasch zu lernen.

Neuere Elternliteratur was ist typisch?

Streßbewältigung bei Kindern so heißt ein neues Schlagwort. Wie Eltern ihren Kindern bei der Bewältigung von Streß helfen können, vermitteln zwei neuere Publikationen amerikanischer Autoren: Help your Child Cope with Stress von B. Remsberg& A. Saunders(1984) und Stress and Your Child von R.P. Arent (1984). Kindliche Verhaltensprobleme werden hier als mißlungene Streßbewäl­tigungsreaktion interpretiert. Es sind auch hier die Eltern selbst, die als fähig erachtet werden, mit den richtigen Maß­nahmen die Kinder über die Schwierig­

keiten hinwegzuführen. Folgende Me­thoden werden vermittelt: die Kinder lehren, Gefühle auszudrücken; Grenzen setzen; Kindern echte Autorität sein; Geduld üben; tolerant sein; Entspan­nungsübungen; Kommunikationsübun­gen vor dem Bettgang; Übungen zum Körperkontakt. Es wird stark die Spra­che der Eltern gesprochen, sie werden in ihrer Unvollkommenheit gestützt und von Schuldgefühlen entlastet. Sie wer­den auch ermuntert, sich der eigenen Privilegien bewußt zu werden.

Alle neuen Elternbücher betonen stark den Aspekt der Selbsthilfe. Ein ausge­sprochenes Selbsthilfebuch ist auch: Solving Child Problems at Home and at School von E.A. Blechman(1985). Die Elternberatung ist hier problemzen­triert: Was tun bei mangelnder Ordent­lichkeit, Streitereien, Lügen, Stehlen, Leistungs- und Verhaltensproblemen in der Schule usw.? Es werden vor allem die klassischen Prinzipien der Verhal­tensänderung empfohlen: Belehrung, Verstärkung, Bestrafung, Regeln und Verträge. Überall steht die Verhaltens­beobachtung am Anfang. Eine Checkli­ste hilft, das Problem zu lokalisieren, und verweist auf die entsprechende Be­handlung.

Aktionsforschung und systemisches Den­ken, diese zwei Begriffe kennzeichnen ein handlungsorientiertes Förderungs­programm von J.-P. Pourtois:Elterner­ziehung(1985). Pourtois zeigt, wie El­tern entwicklungs- und sozialpsycholo­gische Erkenntnisse vermittelt werden können, um die Beziehung in der Fami­lie zu fördern und die affektive und ko­gnitive Entwicklung des Kindes anzure­gen. Dabei wird die Eigenverantwortung stark betont: Eltern sollen sich selber weiterentwickeln und dann auch für an­dere Eltern Ausbildnerfunktion über­nehmen.

Partnerschaft in der Familie das ist das Anliegen der Elternbücher von C.& P. Köhle. Nachdem sie schon 1980 in der DDR ein Kursbuch herausgegeben hatten(Verständnis für den anderen), haben sie 1986 einen neuen Familien­kurs,Partnerschaft, veröffentlicht. Es ist ein Erziehungsratgeber, der vor allem durch Informieren über psychologische

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988

Erkenntnisse Erzieherverhalten verbes­sern will.

Nicht an Eltern, sondern an Lehrer wen­det sich das neueste Trainingsmodell im Mediatorenkonzept: Es ist das Konstan­zer Trainingsmodell KTM von Tennstädt u.a.(1987), ein integratives Selbsthilfe­programm für Lehrkräfte zur Bewälti­gung von Aggressionen und Störungen im Unterricht. Es ist wissenschaftlich evaluiert und kann mit einem Kollegen als Trainingspartner erarbeitet werden. Dabei wird von den Alltagstheorien über die Aggression ausgegangen. Theoreti­scher Hintergrund ist eine kognitive Handlungstheorie.

Zusammenfassung: Was gibt es Neues?

Unverkennbar haben sich in den letzten Jahren im Mediatorenkonzept einige Veränderungen abgezeichnet. Sie betref­fen den theoretischen Hindergrund, die angestrebten Ziele und den Weg, um die­se Ziele zu erreichen.

Der ursprünglich vorwiegend lern-und verhaltenstheoretische Hintergrund der meisten Mediatorenansätze hat sich geweitet: Heute werden das ge­samte für das zu behandelnde Pro­blem bedeutsame allgemeinpsycholo­gische Wissen und die neuen Erkennt­nisse der Erziehungs-, Sozial- und kli­nischen Psychologie einbezogen. Da­zu gehören kognitive Theorien, Hand­lungstheorien, Attributionstheorien, systemische Theorien und Streßtheo­rien. Damit wird der Anwendungsbe­reich des Mediatorenkonzepts erwei­tert. Das therapeutische Repertoire ist größer geworden, und die Proble­me können differenzierter angegan­gen werden.

Das alltagspsychologische Wissen und die subjektiven Theorien der Media­toren sind rehabilitiert worden. Die Wissenschaftssprache wird soweit wie möglich in die Alltagssprache über­setzt.

Neu werden vermehrt Ziele angestrebt wie: Selbständigkeit, Selbstverant­

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