Kinderantworten zur Körperbehindertenproblematik Meinungen und Einstellungen von nichtbehinderten Grundschulkindern zu körperbehinderten Kindern hinsichtlich ausgewählter Dimensionen
Von Alfred Fries und Ralf Gollwitzer
In der vorliegenden Studie sollte von 76 Schülern einer Grundschule(Klassen 1-4) die Meinungs- und Einstellungsstruktur zu körperbehinderten Kindern ermittelt werden, ebenso das faktische Wissen der nichtbehinderten Kinder zum Themenkomplex‘Körperbehinderung'. Die Untersuchung wurde in Form von themengeleiteten Einzelinterviews durchgeführt. Die Antworten können dahingehend interpretiert werden, daß die meisten Kinder körperbehinderten Kindern noch nicht im Sinne eines bereits manifestierten, vorurteilshaften Verhaltens begegnen. Einschränkende Meinungen gegenüber körperbehinderten Kindern beziehen sich hauptsächlich auf deren funktionale Beeinträchtigungen im kindlichen Spiel, nicht aber auf Dimensionen der Persönlichkeit oder des Sozialverhaltens. Andererseits wieder ist festzustellen,daß die befragten Grundschulkinder— mit fortschreitendem Alter- die negative Einschätzung körperbehinderter Kinder durch die Umwelt bereits antizipieren.
The submitted study investigated opinions and attitudes towards physically handicapped children among 76 pupils of a primary school(grades 1 thru 4), likewise the effective knowledge of nonhandicapped children on physical disabilities. The study was implemented by way of a guided interview in which one child at a time was questioned.
The answers can be interpreted in direction of that most children do not show manifested based behavior against physically handicapped children. Reversed opinions mainly refered to functional impairments of the physically handicapped children at play, by no means, however, on dimensions of their personality or social behavior. Onthe other hand it can be derived from the study that the interviewed primary school pupils— at an advanced age — already anticipate the negative attitude of the environment towards physically handicapped children.
Theoretische Vorüberlegungen und Zielsetzungen der Untersuchung
„Was und wie denken nichtbehinderte Menschen über behinderte Menschen“— der Beantwortung dieser Frage hat sich die empirische sonderpädagogische Forschung seit vielen Jahren gewidmet, wobei das Augenmerk besonders auf die Einstellungsbildung gegenüber körperbehinderten Menschen gerichtet ist. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die vielbeachtete Analyse vorliegender Studien von Cloerkes(1979) zum Thema der Einstellungsstrukturen nichtbehin
* Herm Prof. Dr. Gisbert Greshake, Freiburg, zum 60.Geburtstag gewidmet
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derter zu körperbehinderten Menschen. Aufgrund der Vielzahl sehr heterogener Einzelstudien ist es schwer, ein wissenschaftlich'stimmiges' Fazit über die Vielzahl der Ergebnisse zu ziehen(vgl. Tröster 1990). Es kann jedoch festgehalten werden:
Die bisher bekannten Ergebnisse zum Komplex der Meinungen der Gesellschaft zu körperbehinderten Menschen wurden vorrangig aus Studien an älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen abgeleitet, wobei die Meinungen jüngerer Kinder(speziell der Kinder, die bislang noch über keinen Kontakt zu behinderten Menschen verfügten) vergleichsweise wenig erfragt wurden. Dieses Forschungsdesiderat betrifft vor allem Studien aus dem deutschsprachigen Raum. Weiter
sei auf die(bekannte)„Mehrdimensionalität“ des Einstellungskonzeptes verwiesen: Einstellungen werden determiniert durch psychodynamische, situationale, soziokulturelle, historische und andere Faktoren(wie z.B. Persönlichkeitsdimensionen der Einstellungsträger), was zwangsläufig zur Folge hat, daß das Geflecht der einstellungsbildenden Faktoren nur sehr schwer zu analysieren ist (vgl. Cloerkes 1979).
Alter, Komplexität und Manifestation von Einstellungen stehen somit in einem engen Zusammenhang. Diese Tatsache führt vor allem im Rahmen der Diskussion um die Integration behinderter Menschen zur Erkenntnis, daß der Genese von Einstellungsstrukturen bei Kindern besonderes Augenmerk geschenkt
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993