Alfred Fries& Ralf Gollwitzer+ Kinderantworten zur Körperbehindertenproblematik
Tabelle 10: Antwort der Kinder der 3. Klasse zu Frage 13
Antworten(-Kategorien)(Mehrfach-)Nennungen
„Freunde“/,,Spielen“(8) „Gesundheit“/,,Behinderung“(9) „Weiß nicht“(2) „Ob ihre Eltern sie mögen“(1) „Tiere als Freunde“(l)
Tabelle 11: Antwort der Kinder der 4. Klasse zu Frage 13
Antworten(-Kategorien)(Mehrfach-)Nennungen
„Freunde“/,Spielen“(12) „Gesundheit“/,,Behinderung“ S „Weiß nicht“(3)
weise beide Kategorien auch miteinander verknüpft, wie folgendes Beispiel zeigen soll:„Daß ich da jetzt auch mitspielen könnt, bei den anderen, wenn ich ein normaler Mensch wär, wenn ich richtig laufen könnt“. Ein Kind dachte darüber nach, ob körperbehinderte Kinder von ihren Eltern gemocht werden, und ein Kind gestand körperbehinderten Kinder nur Tiere als Freunde zu. Dasselbe Kind würde auch, bezogen auf Frage 9, nicht mit einem körperbehinderten Kind spielen und in Frage 10 wurde es ihm bei der Vorstellung, er würde einem körperbehinderten Kind begegnen ‚,... grausig“. Er sagte:„Über Katzen und Hunde, weil die so lieb sind, wenn sie denen gehören, schmusen sie halt.“
Bei den Viertkläßlern nimmt die Kategorie„Freunde/Spielen‘“ eine vorrangige Stellung ein(vgl. Tabelle 11).
Zusammenfassung und Versuch der Interpretation der Ergebnisse
Die Untersuchung machte eine klassenspezifische— und damit auch altersspezifische— Zunahme des faktischen Wissens über„Behinderung“ deutlich, wenngleich folgendes einschränkend festgehalten werden kann: Mit Behinderung allgemein assoziierten die Kinder der Untersuchung vorrangig'Bewegungsbeeinträchtigungen' und geben
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damit das zum überwiegenden Teil wieder, was sie im Alltag bisher an behinderten Menschen gesehen und wahrgenommen haben. Die Wahrnehmung einer "Andersartigkeit'— vor allem in den Klassenstufen 1—2— orientiert sich also hauptsächlich an hervorstechenden'"funktionalen Beeinträchtigungen', was dadurch erhärtet wird, daß andere Behinderungsformen, wie Blindheit, Taubheit, Lernbehinderung, Verhaltensstörungen im Kontext der Zuordnung zu Behinderungen nur selten oder gar nicht erwähnt worden sind.
Lediglich bei Kindern der 4. Klasse ist die Differenzierung nach Oberbegriffen und Teilbegriffen schon ausgeprägter(so wurde z.B.'geistige Behinderung' von den Kindern dieser Klasse zehnmal erwähnt). Insgesamt gesehen dominieren teilweise sehr unpräzise und undifferenzierte Umschreibungen. Dies steht im Einklang mit den Erkenntnissen aus der Literatur im allgemeinen(z.B. Allport 1971; Oerter& Montada 1978), speziell mit den Ergebnissen von Brunner et al. (1966), mit denen nachgewiesen worden war, daß im Alter von sieben bis acht Jahren die Fähigkeit einer Differenzierung nach Oberbegriffen und Teilbegriffen ein prozentuales Verhältnis von etwa 50: 50 ergab.
Aus den Antworten der Kinder zum Komplex Schule(Fragen 3-6) wurde folgendes ersichtlich: Die Meinung, daß körperbehinderte Kinder zur Schule gehen können, stieg ab der 2. Klasse deutlich an und blieb bis zur 4. Klasse, prozentual gesehen, ungefähr gleich. Ab der 2. Klasse war auch schon vereinzelt die Kenntnis von einer„anderen Schule“ für körperbehinderte Kinder vorhanden— allerdings wurde der Begriff der Sonderschule nicht erwähnt.
Die Diskrepanz der Antworten der 1. Klasse zwischen Frage 3 und Frage 4(16 von 22 Schülern konnten sich nicht vorstellen, daß körperbehinderte Kinder die Schule besuchen und 11 von 22 Schülern sehen keine Probleme in der Regelschule) könnte in einer für dieses Alter nicht adäquaten Fragestellung liegen, oder aber in einem noch nicht ausgeprägten Problembewußtsein der Kinder, so daß sie in dieser Hinsicht von den beiden Fragen
überfordert wurden. In der 2. bis 4. Klasse wurden vorwiegend architektonische Probleme und Schwierigkeiten im Unterricht genannt, wobei sich das Schwergewicht mit zunehmendem Alter auf Schwierigkeiten im Unterricht verlagerte, die sich allerdings oft auf das Unterrichtsfach Sport— wegen der mangelnden Bewegungsfähigkeit- beschränkten.Auffallend ist, daß Probleme sozialer Natur und spezifische Denkprobleme nur selten erwähnt worden sind. Weiter wurde deutlich— und dies scheint ein bemerkenswertes Ergebnis zu sein—, daß die Beliebtheit des körperbehinderten Kindes im Klassenverband nichtbehinderter Kinder von den Kindern der vorliegenden Untersuchung als sehr unterschiedlich antizipiert wird, eher in die Richtung der Einschätzung geringerer Beliebtheit des körperbehinderten Kindes gehend(vgl. die Antworten zu Frage 6).
Möglicherweise geht in die Antworten der Kinder der Gedanke der sozialen Erwartung ein, nämlich der, daß der Eindruck der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit sich im sozialen Bereich der Schule als Ausdruck geringerer Kontaktund Interaktionsmöglichkeiten des Behinderten darstellt(vgl. auch Esser& Jansen 1979, 495). Die Folge wäre, daß das körperbehinderte Kind aufgrund seiner Bewegungsbeeinträchtigung in seiner Bedeutung als Spielkamerad als weniger attraktiv angesehen wird. Die Institution Schule kann auch als Ort betrachtet werden, an dem über Stunden hinweg soziale Beziehungen intensiver, konkreter und verbindlicher gepflegt werden müssen. Deshalb könnte auch die Studie von Esser(1975) in diesem Fall zur Erklärung hinzugezogen werden:„Die Zuwendungsbereitschaft nimmt auch in dem Maße ab, wie mit der Zuwendung persönliche Verpflichtungen verbunden sind“(Esser& Jansen 1979, 495). Die Befürwortung der Hilfestellung bei Hausaufgaben war in den Klassen 1-3 ähnlich hoch, in der 4. Klasse fiel sie deutlich ab. Erklärbar ist dies vielleicht dadurch, daß nach Ergebnissen der Untersuchung das faktische Wissen der Schüler der 4. Klasse größer ist, so daß sie die Hilfsbedürftigkeit körperbehinderter Kinder nicht
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993