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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Annemarie Fritz& Reinhard Keller+

Verursacher für etwas zu sein, und kön­nen die Fertigstellung eines Objekts 0.ä. auf sich attribuieren. Im Aufbau räumli­cher Konstruktionen wird außerdem die räumliche Vorstellungsfähigkeit verbes­sert, in Sprache und Handlung wird der Umgang mit Relationen eingeübt, und die Überlegungen und Absprachen vor der Ausführung von Aufbauten festigen die Planungsfähigkeit. Effektivitätsstudien zu den Auswirkun­gen des Symbol- und Bauspiels auf die kindliche Entwicklung und schulisches Lernen existieren kaum und erbrachten widersprüchliche Befunde. In einer Kon­trollgruppenstudie fanden Treinies& Einsiedler(1989)eine starke indirekte Einflußrichtung von Spielen im Kinder­garten über die Variableneigengesteu­erte Lernhaltung auf die Schulleistungen im 1. Schuljahr(Einsiedler 1991, 46). Durch die Einführung einer Spielför­derung in den Klassen 14 konnten Hart­mann, Neugebauer& Rieß(1988) die Verringerung von Aggressivität und ein positiveres Sozialverhalten bei den Schü­lern nachweisen. Außerdem verbesserte sich deren Arbeitshaltung, und sie zeig­ten eine höhere Schulzufriedenheit. Ret­ter(1984) fand nach einer Spielförde­rung in 24 Klassen der 1. Jahrgangsstufe, daß diesen Kindern der Schulanfang leichter gefallen war und sie weniger Probleme hatten, sich an schulisches Ler­nen anzupassen(vgl. Einsiedler 1991).

Warum handlungsorientierter Unterricht?

Trotz aller positiven Befunde zum Spiel in der Schule kann nicht davon ausge­gangen werden, daß durch die Bereit­stellung von Spielstunden per se die Ent­wicklungsvoraussetzungen zum schu­lischen Lernen geschaffen werden. Fin­den die Spielstunden unabhängig vom übrigen Unterricht statt, können sie von den Kindern als anforderungsfreie Insel erlebt werden, und von den im Spiel möglichen Lernerfahrungen ist nicht notwendigerweise ein Transfer auf schu­lisches Lernen zu erwarten.

Um die Entstehung schulischer Ent­wicklungsvoraussetzungen gezielter zu

unterstützen, haben wir das Spiel als motivierende, kindangemessene Tätig­keit und Grundform der kindlichen Aus­einandersetzung mit der Welt aufgegrif­fen, das in spezifischer Weise als Medium für schulvorbereitendes und schulisches Lernen eingesetzt wird. Spiel wird damit als sinnhaftes, von Interesse getragenes handelndes Tun begriffen, das nach Gudjons(1987) der Stufe der materiellen Tätigkeit entspricht.

Mit dieser Bestimmung rückt Spiel­tätigkeit im Unterricht in die Nähe des handlungsorientierten Unterrichts.Mit dem Begriffhandlungsorientierter... Unterricht wird ein Unterrichtskonzept bezeichnet, das den Schülern einen han­delnden Umgang mit den Lerngegen­ständen und-inhalten des Unterrichts ermöglichen soll. Die materiellen Tätig­keiten der Schüler bilden dabei den Aus­gangspunkt des Lernprozesses...(En­zyklopädie Erziehungswissenschaft Bd. 3, 1986, S.600).

In Abgrenzung zum handlungsorien­tierten Unterricht können sich die Kinder in dem von uns konzipierten Unterricht mit allen Themen auseinandersetzen, die für sie von Bedeutung sind, und ihre Phantasie beschäftigen. Die von den Kin­dern eingebrachten Spielideen werden dabei jedoch in spezifischer Form aufge­griffen und so aufbereitet, daß sie dem jeweiligen Stadium der kindlichen Pla­nungsfähigkeit entsprechen. In einem sy­stematischen Aufbau werden die Kinder dann zu einer eigenständigen komplexen Planungsfähigkeit hingeführt.

Die Erfahrungen aus dem spiel- und handlungsorientierten Unterricht sollen allerdings nicht auf das Spiel beschränkt bleiben.Handlungsorientierter Unter­richt meint also nicht bloßes manuelles Tun an Dingen, er ist kein praxistischer Aktivismus, sondern betont den Zusam­menhang von Denken und Handeln (Gudjons 1987, 10).

Um diesen Zusammenhang herzustellen und auf der materiellen Basis handeln­den Tuns, Denken als verinnerlichtes Handeln aufzubauen, werden Inhalte aus den Spielthemen im übrigen Unterricht aufgegriffen, vertieft und auf andere Erkenntnisebenen übertragen. Auf diese Weise wird ein Lernen in die Schule

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993

Entwicklungsförderung in einem spiel- und handlungsorientierten Unterricht

eingeführt, das auf Spiel und handelnder Aneignung basiert und damit dem natür­lichen Erkenntniserwerb der Kinder ent­spricht. Der Vorteil der praktisch han­delnden Aneignung und Übertragung in andere Unterrichtsfächer besteht außer­dem darin, daß der Lerngegenstand(= Thema) in seiner Komplexität bestehen bleibt und nicht unter unterschiedli­chen Aspekten auf einzelne Fach­disziplinen aufgeteilt wird. Durch die Fortführung von Spielthemen in unter­schiedlichen Fächern des allgemeinen Unterrichts wird ein fächerübergreifendes handelndes Lernen möglich(vgl. Gudjons 1989).

Darstellung des spiel­und handlungsorientierten Unterrichts

Der spiel- und handlungsorientierte Un­terricht wird seit 1985 an Kölner Grund­undeinigen Sonderschulen durchgeführt. Nach der Entwicklung und Erprobung des Konzepts in Forschungsprojekten der ForschungsgemeinschaftDas körper­behinderte Kind hat die Stadt Köln die­ses Konzept in den Aufgabenbereich des Schulpsychologischen Dienstes übertra­gen. Inzwischen haben 32 Klassen am spiel- und handlungsorientierten Unter­richt teilgenommen(vgl. Übersicht über Spielthemen in Keller& Fritz, i. Dr.). Spiel- und handlungsorientierter Unter­richt findet über zwei Schuljahre(1. und 2. Klasse) mit einer Doppelstunde pro Woche statt. Am Unterricht nimmt die ganze Klasse teil, er wird den Kindern als Spielunterricht angeboten und erfreut sich größter Beliebtheit. Die Konzeption sieht vor, daß der Unterricht von zwei Personen durchgeführt wird, in der Regel von einem Mitarbeiter des Projekts und der Klassenlehrerin oder dem Klas­senlehrer.

Die Teilnahme der Klassenlehrerin oder des Klassenlehrers am spiel- und hand­lungsorientierten Unterricht ist unbe­dingte Voraussetzung, da diese zum ei­nen die Themen aus dem spiel- und hand­lungsorientierten Unterricht im allgemei­nen Unterricht fortführen sollen. Zum anderen bietet dieser Unterricht der Leh­

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