Annemarie Fritz& Reinhard Keller*
rerin oder dem Klassenlehrer die Möglichkeit, das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler in anderen situativen Bedingungen kennenzulernen. Wenn die Untersuchungsergebnisse von Petillon (1992) belegen, daß Lehrer und Lehrerinnen zum Ende des 2. Schuljahres das Sozialverhalten ihrer Schüler nicht kennen, so ist mit diesem Unterricht eine Möglichkeit geschaffen, weitere Informationen über die Schüler zu erhalten und auf einer anderen Ebene, z.B. im Rollenspiel, mit ihnen zu kommunizieren.
Vermittlung von Planungsfähigkeit
Um die Kinder allmählich zur selbständigen Planungsfähigkeit hinzuführen, baut der Unterricht in drei Phasen systematisch aufeinander auf:
— Phase I: Kennenlernen der Handlungsbedingungen; Erwerb von Fertigkeiten im Umgang mit den Handlungsbedingungen(Bildung einer Orientierungsgrundlage)
In dieser Phase sollen die Kinder lediglich das Umfeld kennenlernen, in dem der Unterricht stattfindet(Raum, Material, Mitschüler), im Umgang damit Erfahrungen sammeln und eigene Handlungsfertigkeiten erwerben.
Da sich die Turnhalle am besten für
großmotorische Spielhandlungen einer
ganzen Klasse eignet, findet der Unterricht dort statt. Das„Spielmaterial“ sind die Geräte in der Turnhalle, psychomotorische Übungsgeräte(Rollbrett, Schwungtuch), eine Kleiderkiste,
Schminke und viele Alltagsmaterialien.
Den Kindern werden sukzessiv eine Fül
le von„veränderlichen Spielräumen‘‘ vor
gegeben— das sind aus Turngeräten und
Materialien zusammengestellte Spielauf
bauten(z.B. Sprossenwand und Weich
bodenmatte als„Kletterberg‘“, Kasten und Weichbodenmatte als„Wellenbad“,
Leiter in Ringe eingehängt als Schaukel
etc.), die zur Erfahrung mit allen Sinnen,
zum Experimentieren und Verändern auffordern.
Der Umgang mit den Dingen vollzieht
sich in dieser Phase noch nicht ziel
gerichtet; die Kinder sollen lediglich erproben, was man mit den Dingen alles
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tun kann. Erste zielgerichtete Handlungen entstehen durch Wiederholung oder bewußt herbeigeführte und geplante Variationen. Über das selbständige Erproben eignen sich die Kinder Kenntnisse über die Umwelt und die Funktion der Geräte an, so daß sie eine innere Repräsentation der Handlungsmöglichkeiten des Handlungsfeldes erwerben.
— Phase II: Ausführung und Erweiterung vorgegebener Handlungspläne
In dieser Phase beginnt der eigentliche themenzentrierte Unterricht. Hier wird den Kindern ein spezifischer Aufbau vorgegeben, der in ein Spielthema einbezogen ist. Die Kinder können den Aufbau erforschen und lernen das Spielthema, z.B. in Form einer spannenden Geschichte, kennen.
Die Geschichten schildern Handlungen aus der Phantasiewelt der Kinder(z.B. Indianer, Vampire, außerirdische Wesen etc.) oder beschreiben Ereignisse aus der Alltagswelt bzw. schulische Themen(z.B. Verreisen, Umzug, Tierpark, Kirmes, Verkehr, Schiffe, Flugzeuge, Raumfahrt, Müllbeseitigung etc.). Das Ziel des Spiels besteht vorerst darin, die Geschichte nachzuspielen(z.B.„In einer Werft wird ein riesiger weißer Ozeandampfer hergestellt, getauft und vom Stapel gelassen. Mit einem Kapitän, einer Schiffsmannschaft und vielen Passagieren an Bord tritt der Ozeanriese seine Reise in ferne Länder an“), dabei die Rollen zu verteilen und die Abfolge der Handlungsschritte zu planen.
Eine eigenständige Planung findet zu diesem Zeipunkt noch nicht statt. Erst nach mehrmaligem Nachspielen der vorgegebenen Spielhandlung beginnen die Kinder, den Handlungsrahmen durch eigene Spielideen zu erweitern: z.B. außer dem Ozeandampfer sollen in der Werft noch andere Schiffe gebaut werden, und um die Werft herum soll ein Hafen entstehen. Die so erweiterte Spielhandlung macht neue Aufbauten erforderlich(z.B. Bau eines Raddampfers, Schubschiffes und anderer Schiffe, Gestaltung der Hafenanlagen, einer Zugbrücke, eines Hafencaf6s etc.) und ermöglicht die Neuund Umverteilung der Rollen. Die Ausgestaltung der Aufbauten und Rollen
Entwicklungsförderung in einem spiel- und handlungsorientierten Unterricht
kann durch mitgebrachte Materialien unterstützt werden: die Anlegestellen werden durch Schilder beschriftet, die Schiffe bunt bewimpelt, Hafencafe und Cafeteria des Ozeandampfers erhalten Speisekarten und eine Zuteilung an Getränken und Plätzchen.
An dieser Stelle beginnt die eigenständige Planung der Kinder. Untergeordnet unter das gemeinsame Handlungsziel (Spielthema) werden die vorhandenen bekannten und erprobten Handlungspläne erweitert. Der Handlungsrahmen bleibt dabei im wesentlichen bestehen und wird lediglich in einzelnen Handlungsschritten ergänzt, so daß die Kinder jederzeit den Gesamthandlungsplan überschauen können.
Im weiteren Verlauf des spiel- und handlungsorientierten Unterrichts werden die stark strukturierenden Vorgaben zu den Spielthemen immer mehr zurückgenommen. Mit der Rücknahme der Vorgaben wird der Anteil der eigenen Planungsfähigkeit für die Kinder allmählich erweitert. Bei der Umsetzung des Geplanten in Handlung können die Kinder auf die Erfahrungen aus der ersten Phase zurückgreifen, in der sie ausführlich die Handlungsmöglichkeiten des Handlungsfeldes kennengelernt haben, die sie nun in die neuen Handlungsplanungen einbeziehen können.
— Phase IH: Entwicklung zum selbständigen Handeln durch Planung und Realisierung eigener Spielideen
Die letzte Stufe des spiel- und hand
lungsorientierten Unterrichts zielt dar
auf ab, die Kinder zur selbständigen
Zielformulierung, Planung und Durch
führung von Handlungen anzuleiten.
Nach umfangreichen Erfahrungen in der
zweiten Phase wird jetzt auf jede Vor
gabe verzichtet, und es wird abgewartet, welche Spielideen die Kinder entwik
keln. Haben sie sich auf ein Thema(z.B.
Eskimos) geeinigt, so werden sie ange
halten, sich Informationen zu diesem
Thema zu beschaffen(z.B. wo leben
Eskimos, wie leben sie, wie kleiden/
ernähren sie sich, wie sieht ein Eskimodorf
aus?). Im Anschluß an die im Fachunterricht erfolgte kognitive Informationssammlung beginnt die Planung für
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993