Karl Josef Klauer+
Denken und Lernen bei Lernbehinderten
Cattell, beides übrigens klassische Indikatoren für g oder g,. Gelegentlich wurden auch entsprechende Untertests des Kognitiven Fähigkeitstests KFT von Heller, Gaedike& Weinläder(1976) herangezogen oder Untertests der entsprechenden Kindergartenform KFT-K.
Wie sehen nun die Ergebnisse aus? In einer Zusammenstellung der bis dahin vorliegenden einschlägigen Untersuchungen konnten 24 Experimente dokumentiert werden, an denen fast tausend Versuchspersonen beteiligt waren (Klauer, 1991). Im Mittel resultierte dabei eine Effektstärke von knapp einer drei Viertel Standardabweichung. Das ist zweifellos ein bemerkenswertes Ergebnis, das im Sinne der Hypothesen interpretiert werden darf,
In diesem Zusammenhang sind auch die Untersuchungen herauszustellen, die im Arbeitskreis von Masendorf zur diskriminanten Trainingsvalidität der Programme bei Lernbehinderten durchgeführt worden sind(vgl. Angerhoefer, Kullik& Masendorf 1992; Kullik, Sieger& Masendorf 1991; Sonntag 1991) oder demnächst erst veröffentlicht werden. Die Prüfung der diskriminanten Validität ist insofern wichtig, als ein spezifisches Training zwar den spezifisch zu erwartenden Transfer bringen soll, aber nicht positiv auf alle anderen denkbaren Leistungen transferieren darf. Würde beispielsweise das Training des induktiven Denkens nicht nur induktiv zu lösende Aufgaben besser bewältigen lassen, sondern auch etwa die Rechenfertigkeit, die Raumvorstellungen oder die Konzentration fördern, so müßte man vermuten, daß es nicht eine Denkstrategie vermittelt, sondern beispielsweise eher Motivation und Aufmerksamkeit generell unterstützt. Möglicherweise wären dann auch einfach nur leistungshemmende Ängste und störende Selbstkognitionen im Training abgebaut worden. Die recht aufwendigen Untersuchungen im Arbeitskreis von Masendorf zeigen dagegen eindeutig, daß die Förderprogramme durch diskriminante Trainingsvalidität gekennzeichnet sind. Das ist umso bemerkenswerter, als solche Untersuchungen für andere Trainingsprogramme nicht vorzuliegen scheinen.
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In der dritten Welle von Untersuchungen soll nun noch einen Schritt weitergegangen werden. Wenn wir tatsächlich annehmen können, daß das Training des induktiven Denkens zu Steigerungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit führt, muß sich das auch im schulischen Lernen erweisen. Es gibt ja einen mäßigen bis mittelhohen Zusammenhang zwischen den Leistungen in den genannten Tests und dem Lernen in der Schule. Folglich sollte eine Erhöhung der Intelligenztestleistung auch zu einer— zwar schwächeren— Erhöhung der schulischen Lernleistungen führen. Um die möglicherweise schwachen Effekte auf das Lernen nachweisen zu können, wurde dabei versucht, Lehrstoffe zu finden, bei denen von unserer Theorie her zu erwarten war, daß sie ebenfalls induktives Denken fordern.
Daher ist es spätestens an dieser Stelle angezeigt, die neue Theorie selbst kurz zu Charakterisieren.
Zur Theorie des induktiven Denkens
Nach einer einfachen Unterscheidung handelt es sich beim induktiven Denken um das Erkennen von Regeln und beim deduktiven Denken um das Anwenden von Regeln(Shye 1988). Tatsächlich spricht man von Induktion, wenn man schließt, daß alle Schwäne weiß seien, weil alle bisher beobachteten weiß waren. Ein solcher Schluß ist zwar logisch nicht zulässig, weil er nicht mit Sicherheit zu richtigen Erkenntnissen führt. Er ist aber heuristisch von großem Wert,
macht er uns doch auf mögliche Regelhaftigkeiten aufmerksam, die es zwar noch zu prüfen gilt, die aber im günstigen Fall Ordnung stiften und unsere Welt übersichtlicher werden lassen. Induktives Denken führt so zur Erkenntnis von Regelhaftigkeit oder Ordnung im scheinbar Ungeordneten, aber auch zur Erkenntnis von Unordnung im nur scheinbar Geordneten. Regelhaftigkeiten oder Gesetzmäßigkeiten werden, wie das Beispiel von den Schwänen zeigt, entdeckt durch die Feststellung, daß alle etwas gemeinsam haben— hier die Farbe»weiß«. Vermutete Regelhaftigkeiten werden widerlegt, indem man feststellt, daß mindestens ein Element im fraglichen Aspekt unterschiedlich ist, die vermutete Ordnung durchbricht. Von daher läßt sich die Definition der Abbildung 1 verstehen.
Die etwas ungewöhnliche Form der Definition lehnt sich an die Technik des mapping sentence der Facettentheorie an(Borg, 1992). Sie umfaßt sechs verschiedene Definitionsvarianten, die alle gemeint sind und sozusagen Arten des induktiven Denkens darstellen. Außerdem sagt die Definition etwas aus über die psychischen Prozesse, die das induktive Denken kennzeichnen. Doch soll zuerst etwas näher auf die sechs Arten von Aufgaben eingegangen werden. Die Kombination der beiden Facetten A und B des Definitionssatzes führt zu den 3 x 2= 6 Aufgabenformen, auf die induktives Denken anwendbar ist. Die Namen, die wir diesen sechs Aufgabenklassen zur Unterscheidung gegeben haben, lassen sich nach der Abbildung 2 leicht erkennen. So heißt zum Beispiel
Induktives Denken besteht in der Erkennung von Regelhaftigkeiten durch Feststellung von
A
a, Gleichheit.
a» Verschiedenheit bei
az Gleichheit und Verschiedenheit
Abb. 1: Definition Induktives Denken
B
b, Merkmalen b 2 Relationen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 2, 1993