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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Karl Josef Klauer

Denken und Lernen bei Lernbehinderten

Trainings- und Testleiter. Vortest und Training wurden von der Diplompsy­chologin Tatjana Igelmund durchgeführt. Sie hatte zuvor schon einmal in einer Realschule und in einer Sonderschule trainiert. Nachtests und Retests wurden von einer erfahrenen Diplompsychologin erhoben. Sie war nicht informiert, wel­che Probanden welchen Bedingungen zugeordnet waren.

Die beiden Trainingsvarianten. Beim nichtdirektiven Training wurden die Pro­banden in Paaren trainiert. Sie erhielten eine Aufgabentafel, die sie zunächst ge­meinsam und leise sprechend zu lösen hatten. Danach wurden sie gebeten, die Lösung und den Lösungsweg schriftlich kurz zu beschreiben. Anschließend soll­ten sie sich austauschen und gegenseitig erläutern, wie man die Aufgabe am be­sten löst. Wie Stichproben zeigten, wur­den trotz aller zu erwartenden Schwie­rigkeiten doch eine Reihe brauchbarer Beschreibungen geliefert. Wenn das Paar jedoch nicht recht vorankam, was die Lösungsprozedur betrifft, so half die Trainerin durch Hinweise und Tips. Im Extremfall demonstrierte sie die Lösung und die Lösungsstrategie.

Ein einziger Schüler notierte so gut wie nichts mangels Schreibkenntnissen. Die übrigen gaben sich Mühe, doch etwas abzuliefern. Insbesondere die Schreib­aufgabe verbrauchte sehr viel Zeit. Des­halb dauerte das Training mit im allge­meinen 15 Sitzungen länger als erwar­tet.

Das direktive Training fand bewußt ebenfalls als Paartraining statt. Hierbei wurden die Probanden aber regelrecht unterrichtet im Lösen induktiver Pro­bleme. Auf einem Merkblatt, das sie stets zur Hand hatten, wurde zunächst auf die Unterscheidung von Merkmalen und Relationen aufmerksam gemacht. Sodann folgte die Instruktion über eine allgemeine Lösungsstrategie, wie man sie etwa bei Belmont, Butterfield& Fer­retti(1982) oder bei Lauth(1988), aber auch im Manual zum»Denktraining für Jugendliche«(Klauer, im Druck) emp­fohlen findet:

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Schritt 1: Lies jede Aufgabe langsam und sorgfältig durch. Du hast genug Zeit.

Schritt 2: Frage dich: Was ist gegeben?

Schritt 3: Frage dich: Was ist gesucht?

Schritt 4: Mache einen Plan, um die Aufgabe zu lösen.

Schritt 5: Probiere den Plan aus.

Schritt 6: Es folgt die Kontrolle.

Schritt 7: Falls der Plan nicht funktio­niert, gehe Schritt 5 und 6 nochmal durch.

Im Sinne der verbalen Selbstinstruktion wurde das Vorgehen von der Trainerin laut kommentierend demonstriert. Die Probanden hatten es dann sich selbst laut anleitend durchzuführen, was im allgemeinen auch rasch gelang. Tatsäch­lich mußte die Phase des Vormachens durch die Trainerin meist bald abgebro­chen werden, weil die Probanden oft unruhig wurden und selbst tätig werden wollten.

Das direktive Training dauerte 11 Stun­den.

In beiden Trainingsvarianten war die Motivation zur Mitarbeit unterschied­lich und schwankend. Viele waren sehr interessiert und gern bei der Sache, an­dere weniger. Ein Teilnehmer gab sogar auf und meinte, er könne schon gut ge­nug denken. Insgesamt waren aber kräf­tige Schwankungen in Motivation und Leistung kennzeichnend. Am Ende der Untersuchung bedauerten die meisten jedoch, daß das Training nicht mehr stattfinden sollte.

Strategien zur Signifikanztestung. Bei den vielen Variablen und den drei Ver­suchsgruppen sind angesichts der Fra­gestellungen zahlreiche Signifikanztests denkbar. Deshalb muß darauf geachtet werden, die Wahrscheinlichkeit vön Feh­lern erster Art nicht unkontrolliert an­schwellen zu lassen. Ein Fehler erster Art heißt auch@-Fehler und besteht dar­in, die Nullhypothese unberechtigt zu­rückzuweisen. In dem Falle nimmt man einen Effekt an, obwohl er nicht be­steht. Man irrt sich also»zugunsten« der eigenen Vermutungen.

Angesichts der vielen möglichen und sinnvollen Signifikanztests wird hier fol­

gende Strategie eingeschlagen. Zunächst werden die Fragestellungen so zuge­schnitten, daß die Zahl sachlich gefor­derter Signifikanztests möglichst klein gehalten ist. Darüber hinaus werden die verbleibenden Tests nach Art ihrer Fra­gestellung zu drei Gruppen zusammen­gefaßt. Innerhalb der drei Gruppen wird durch die Anwendung der@-Adjustie­rung nach Holm(1979, vgl. Klauer 1990) dafür Sorge getragen, daß das&­Risiko in der ganzen Gruppe von Si­gnifikanztests nicht den kritischen Wert von&= 0,05 überschreitet. Das Gesamt­risiko ist danach so groß, als ob nur drei Signifikanztests auf dem@-Niveau von p= 0,05 stattgefunden hätten. Das Risi­ko, eine Nullhypothese fälschlich zu­rückzuweisen, beträgt bei drei Tests auf dem 5%-Niveau aber noch immer p= 0,14(Klauer, 1990).

Ergebnisse

Gruppe 1: Einfluß des Denktrainings auf die Intelligenztestleistung und das Mathematiklernen. In diesem Ab­schnitt werden alle Ergebnisse darge­stellt und statistisch bewertet, die sich auf den Einfluß des Trainings zum in­duktiven Denken auf die Intelligenz­testleistung und die Lernleistung bei dem Mathematikthema Operatoren beziehen. Das soll sowohl bei den Ergebnissen unmittelbar im Anschluß an das Trai­ning als auch bei den Ergebnissen fünf Monate später geschehen.

Da es hier darum geht, die kurzfristige und längerfristige Wirksamkeit des Denktrainings überhaupt zu prüfen, wer­den hier beide Trainingsgruppen zusam­mengenommen und der Kontrollgruppe kontrastierend gegenübergestellt. Tat­sächlich gibt es ja keine theoretisch be­gründete Hypothese, daß die eine Trai­ningsvariante der anderen überlegen wäre. Wohl aber wird begründet vor­hergesagt, daß das Training des induk­tiven Denkens die Intelligenztestlei­stungen und die Lernleistungen zum Mathethema beeinflußt. Insofern kann in dieser Gruppe in einseitiger Frage­stellung getestet werden: Die vereinig­ten Trainingsgruppen sollten in beiden

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 2, 1993