Karl Josef Klauer*
belle 7). Angesichts der kleinen Stichproben lassen sich diese Unterschiede statistisch nicht sichern. Dennoch wird man Tendenzen für im Laufe der Zeit ansteigende Transfereffekte des nicht direktiven Trainings nicht ausschließen wollen.
Denkbar wäre, daß dieses Training einfach deshalb etwas besser abschneidet, weil es länger gedauert hat. Die Probanden hatten so mehr Gelegenheit, die Strategien des induktiven Denkens einzuüben, zu internalisieren. Ein langsamer voranschreitendes Training könnte sehr wohl eher zur Einübung von Strategien führen, die dann in der Folge nicht nur nicht verlorengehen, sondern sich in verschiedenster Richtung als effektiv erweisen könnten.
Es wäre aber auch denkbar, daß es die zurückhaltendere Lehrmethode ist, die sich so positiv ausgewirkt hat. Dabei werden den Lernenden ja deutlich weniger Hilfen gegeben, und sie sollen soweit wie nur möglich selber die Unterschiede im eigenen Lösungsverhalten entdecken, die für Leistungsunterschiede, für Erfolg und Mißerfolg verantwortlich sind. Insofern können sie die induktive Denkstrategie eher auch in induktiver Methode und eher durch Entdeckenlassendes Lernen erlernen. Demgegenüber könnte die direktive Methode eher zu Störungen führen, wenn die neue Denkstrategie mit den bisher gewohnten Strategien interferiert. Weitere Untersuchungen auf dieser Linie sind daher dringend erwünscht.
Abschließende Gesamtdiskussion
Im folgenden sollen die Ergebnisse beider Untersuchungen kommentiert und in den Zusammenhang der einschlägigen Forschungsliteratur eingeordnet werden.
Transfer des Denktrainings auf die Intelligenztestleistung. Die beiden Experimente haben unterschiedliche Ergebnisse gebracht, was den Transfer des Denktrainings auf die Intelligenztestleistung betrifft. Zwar wurden nicht die
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Denken und Lernen bei Lernbehinderten
selben Intelligenztests verwendet, doch liegen mit beiden viele positive Erfahrungen vor. An den Tests kann es nicht gelegen haben, daß die Ergebnisse so deutlich voneinander abweichen, zumal beide induktives Denken erfassen.
Im Experiment Esser wurde zwar ein kleiner positiver Transfereffekt erzielt, der aber nicht statistisch zu sichern war. Im Experiment Igelmund wurden dagegen mittlere bis große Effekte erreicht, die auch statistisch signifikant waren. Wie lassen sich die Unterschiede aus den Bedingungen der Experimente erklären?
Ein wesentlicher Unterschied liegt in den Sozialformen des Trainings. Im einen Fall wurde das Training als Gruppentraining mit je neun Probanden durchgeführt, im anderen Fall als Paartraining. In der Sonderschule wurde bislang noch kein Trainingsversuch in Gruppen mit mehr als 4-5 Teilnehmern durchgeführt. Allerdings liegen positivere Ergebnisse mit größeren Gruppen aus anderen Schulformen vor, doch dürfte ein Training mit neun Teilnehmern in der Sonderschule besonders schwer durchzuführen sein. Außerdem erstreckte sich das erfolgreichere Training über einen längeren Zeitabschnitt, was lernpsychologisch günstiger sein dürfte(Underwood 1961).
Wie sieht die Befundlage sonst aus? Im Manual für das Denktraining I(Klauer 1991a, S. 46-47, vgl. auch Klauer, im Druck) ist eine Übersicht über die 24 bis dahin vorliegenden Experimente gegeben, bei denen der Transfer des Denktrainings auf einen Intelligenztest überprüft worden ist. In 19 von diesen Fällen konnte ein signifikant positiver Transfer des Denktrainings auf den jeweiligen Intelligenztest nachgewiesen werden. Die hier vorgelegten Befunde fügen sich gut in diesen Rahmen ein.
Transfer des Denktrainings auf schulisches Lernen. In beiden Untersuchungen konnte ein signifikanter Transfer des Trainings zum induktiven Denken auf das Erlernen des mathematischen Sachverhalts der Operatoren nachgewiesen werden. Das ist insofern bedeutsam, als hier zum ersten Mal nachgewiesen wurde, daß das Denktraining schulisches Lernen bei Sonderschülerinnen und-schülern positiv beeinflußt. Da dies gleich zweimal unabhängig voneinander gezeigt werden konnte, ist der Befund gut gesichert.
Nun stehen diese Ergebnisse aber keineswegs isoliert da, wenn man die Forschungen in anderen Schulformen berücksichtigt. Tabelle 9 bietet einen zusammenfassenden Überblick über die
Tabelle 9: Übersicht über die bislang vorliegenden Untersuchungen zur Auswirkung des Denktrainings
auf schulisches Lernen
Schulart Name N(Klasse) Esser 36 Sonderschule(8-9) Igelmund 46 Sonderschule(8-9) Benicke 36 Hauptschule(5) Hintermaier 61 Realschule(6) Jackmuth 1 Gymnasium(6) Esenwein 50 Realschule(6) Becker 49 Gymnasium(5) Munz 66 Realschule(8) Kaftan 88 Gesamtschule(5) Hellenbrandt 32 Realschule(6) * Effekt signifikant ES= Effektstärke
ES Intelligenz Lehrstoff
Schulischer Lehrstoff Mathematik: Operatoren 0,19 1,10* wie oben 0,76* 0,34 0,57* 0,65* Mathematik: Symmetrie 0,18 0,55 -0,17 0,58 Fremdsprachenlernen 0,48* 0,65* Biologie 0,78* 1,13* 0,38 0,56 Rechtschreibung 0,59* 0,90* Biologie, Physik 0,23 0,27 0,38 wie oben 0,22 0,39 0,88* Mathematik: Gruppen 0,00 0,29 Deutsch: Satzbau 0,23 0,60*
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 2, 1993