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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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bekannte Wörter

Anfang Mitte Ende

Christian Klicperaetal.+ Lesenlernen in den ersten beiden Klassen der Sonderschule

neue Wörter

Anfang Mitte Ende

Pseudowörter

Anfang Mitte Ende

Abb. 1: Entwicklung der Lesesicherheit in der 1. Klasse beim Lesen von Listen bekannter und neuer Wörter sowie von Pseudowörtern bei lernbehinderten Kindern in der Sonderschule und bei Kindern in der Grundschule mit unterschiedlichem Verlauf der Leseentwicklung.

(T1: 2 Listen mit insgesamt 8 Wör­tern; T2: 2 Listen mit insgesamt 10 Wörtern; T3: 2 Listen mit insgesamt 10 Wörtern).

Die bekannten Wörter waren den Kin­dern bereits aus dem Lesebuch vertraut. Die neuen Wörter waren aus den bereits bekannten Buchstaben gebildete, den Kindern geläufige Wörter. Die Pseudo­wörter wurden aus bekannten Wörtern durch Vertauschung von Buchstaben oder Änderung der Reihenfolge der Buchstaben gebildet. Sie waren sinnlos, aber aussprechbar.

Ergebnisse

Buchstaben benennen: Der Großteil der Sonderschüler wurde nach einem Lehr­gang unterrichtet, bei dem nur Groß­buchstaben verwendet wurden. Die Buchstaben wurden langsamer einge­führt als in der Volksschule, bis zum Schulschluß wurden jedoch alle häufig vorkommenden Grapheme, auch zwei­und dreigliedrige, den Kindern vorge­stellt. Die Kinder konnten im Durch­schnitt zu jedem Zeitpunkt etwa drei Viertel der bereits im Unterricht vorge­stellten Grapheme richtig benennen. Ihre Fehlerrate liegt damit deutlich über je­ner der schwächsten Leser in der Volks­schule, die gegen Mitte des ersten Schuljahres als die meisten Buchsta­ben eingeführt waren durchschnittlich

10% falsch benannten, sich dann aber verbesserten und am Ende nur mehr 5% Fehler begingen. Gute Leser sowie die anfangs schwachen Leser zeigten kaum Unsicherheit beim Benennen der Buch­staben.

Lesefehler: Die Leseentwicklung der Kinder in der Sonderschule war durch geringe, sehr langsame Fortschritte ge­kennzeichnet. Diese Kinder lasen im Durchschnitt während des gesamten Schuljahres etwa drei Viertel der im Leseunterricht bereits gelesenen Wörter bei den Lesetests falsch, neue, ihnen vom Leseunterricht her unbekannte Wörter wurden auch am Ende der 1. Klasse noch zu über 90% falsch gelesen. Der Unter­schied zwischen bekannten und neuen Wörtern bzw. Pseudowörtern war wäh­rend des ganzen Schuljahres signifikant (t= 2.3-5.6; p= 0.001-0.04).

Von den 9 Kindern, deren Leseentwick­lung während der gesamten 1. Klasse Sonderschule beobachtet werden konn­te, hat nur ein Kind eine gewisse Selb­ständigkeit im Lesen erreicht. Bei den übrigen wurden zwar Fortschritte fest­gestellt, die Lesefähigkeiten waren aber nicht so groß, daß sie zum richtigen Erlesen ganzer Wörter ausreichten.

Im Unterschied zu den Kindern in der Sonderschule waren auch bei den schwächsten Schülern in der Volksschu­le deutliche Fortschritte während der 1. Klasse festzustellen. Diese Fortschrit­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993

te waren bei den schwächeren Lesern sogar besonders deutlich ausgeprägt (Abb. 1).

Für die anfangs schwachen Leser ist cha­rakteristisch, daß sie zu Beginn große Probleme beim Lesen von neuen Wör­tern und Pseudowörtern haben, während ihnen das Lesen bekannter Wörter kaum Probleme macht. Weiers fällt auf, daß bei diesen Kindern die Fehler bei be­kannten Wörtern von Anfang zur Mitte des Schuljahres zunehmen, nicht aber bei den guten Lesern. Dies steht wohl damit im Zusammenhang, daß im Ver­lauf des ersten Halbjahres die Anzahl der im Leseunterricht eingeführten Wör­ter stark ansteigt und daß deshalb be­reits zur Mitte des Schuljahres die be­kannten Wörter nicht mehr nur auf Grund einiger Merkmale erkannt wer­den können.

Die durchgehend schwachen Schüler lie­gen im Niveau ihrer Leistungen deut­lich unter jenen der übrigen Kinder in der Grundschule. Im ersten Halbjahr nimmt die Fehleranzahl allerdings stär­ker ab als bei den nur anfangs schwa­chen Lesern, bleibt aber sehr groß. Im 2. Halbjahr machen sie etwa ähnlich gro­ße Fortschritte wie jene Kinder, holen also nicht mehr auf. Das erreichte Lei­stungsniveau am Ende des Schuljahres bleibt dadurch deutlich geringer. Ein weiteres besonderes Merkmal der Lese­entwicklung dieser Kinder ist, daß sie bereits zu Beginn des Leseunterrichts

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