Nachrichten/ Buchbesprechung
wicklung des nervösen Apparates zugeordnet. Unter den spezifischen neuropathischen Störungen werden die Hyperaktivität und das hyperkinetische Syndrom, Teilleistungsstörungen im Sinne psychoneurologischer Lernstörungen einschließlich sprachlicher Teilausfälle, psychomotorische Störungen und schließlich Lateralitätsstörungen behandelt.
In einem dritten Hauptpunkt würdigt Grissemann kritisch die verschiedenen Neuropathiekonzepte. Dazu nimmt er zum defektologisch-orientierten Denken, zu restringierten Normbezügen im Sinne einer Anpassung sowie zu Gefahren bezüglich einer Generalisierung von hyperaktivem Verhalten auf alle Alltagssituationen und bezüglich individuumzentrierter Sichtweisen, die Umweltbedingungen außer acht läßt, Stellung.
Das vierte Kapitel befaßt sich mit der Erziehung und dem Unterrichten neuropathischer und teilleistungsgestörter Kinder, und zwar sowohl in Regel- als auch in Förderschulklassen. Ausgangspunkt ist die Haltlehre von Moor, wobei es hier um die Bedeutung, die Merkmale und die erzieherische Beeinflußbarkeit des inneren Haltes einer Person geht. Die Haltlehre von Moor wird mit heutigen Forschungsergebnissen zum psychoorganischen Syndrom(POS) in Beziehung gesetzt. In einem nächsten Abschnitt werden Veränderungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Systeme Familie und Schule betrachtet. Als drittes geht es um die Modifikation von Fertigkeiten, und zwar einmal um ein basales Funktionstraining, als zweites um ein Konzentrationstraining und als drittes um Maßnahmen zur Regulation von Bedürfnissen. Das Funktionstraining, auf
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Teilleistungsstörungen bezogen, beschreibt visuelle Wahrnehmungstrainings, auditivsprachliche Wahrnehmungstrainings; es gibt Beispiele für psycho-motorische, sensomotorische und grapho-motorische Trainings, unter anderem von Jean Ayres; sogenannte Sequenztrainings zur Erhöhung des visuellen und auditiven Gedächtnisses werden dargestellt, und schließlich gehören sprachliche Fördermaßnahmen zum basalen Funktionstraining bei teilleistungsgestörten Kindern.
In einem vierten Abschnitt zur Erziehung neuropathischer und teilleistungsgestörter Kinder geht es um die Kooperative Verhaltensmodifikation, besonders um hyperaktives Verhalten günstig zu beeinflussen. Es wird beispielhaft das Modell von Redlich & Schley aus dem Jahre 1981 vorgestellt. Der abschließende Punkt von Kapitel 4 beschäftigt sich mit emotionalen Aspekten hyperaktiver Kinder, einmal hinsichtlich der Erzeugung innerer Ruhe durch Entspannungsverfahren und einmal bezüglich der Verbesserung der Wahrnehmung von Gestik und Mimik sowie des damit verbundenen Gefühlsausdrucks. Informationen zur medikamentösen Therapie, zu pädagogischen Separations- wie Integrationsbemühungen bei Kindern mit minimaler cerebraler Dysfunktion und ein kurzer Überblick über das epileptische Kind in der Schule runden die Darstellungen ab.
Das Buch ist von seiner Didaktik her so aufgebaut, daß zwischengestreute Fragen und Aufgaben an den Leser Verstandenes und Behaltenes verdeutlichen, Fallbeispiele Gesagtes illustrieren, längere Passagen von Originaltexten bestimmte Aussagen unverfälscht verdeutlichen helfen, grundsätzliche
Informationen, besonders für den Lehrer, durch einen Strich am Seitenrand markiert sind und die übrigen Textpassagen als Zusatzinformationen zur Einführung in das Studium der Sonder- und Förderpädagogik zu verstehen sind. Einzelne Abschnitte, sowohl beim Begriffssystem als auch beim Erziehungs- und Interventionsteil, weisen am Rand einen Hinweis auf den Anhang auf. Dieser beinhaltet zwölf neue Textteile der zweiten Auflage, als Ergänzung und Vertiefung der Darstellungen der ersten Auflage gedacht.
Interessant und nachdenkenswert erscheint die Haltlehre von Moor aus den sechziger Jahren, auf deren zentrale Aussagen einzelne„moderne“ Interventions- und Trainingsmaßnahmen bezogen werden. Dabei darf sich der Leser von einer eher antiquierten Sprache und Begrifflichkeit Moors nicht befremden lassen; vielmehr scheint es für die Zukunft eine lohnenswerte Aufgabe, die weitgespannten Zusammenhänge, beispielsweise von Gehorchen, Vertrauen, natürlicher Autorität und Freiheit zu eigener Verantwortung, nicht nur in eine zeitgemäße Sprache, sondern in solche operationalen Formen zu bringen, daß sie empirisch prüfbar werden.
Abschließend kann man sagen, daß man das Buch von Grissemann trotz schwieriger Sprache und manchmal nicht genügend vollzogener Integration der vielfältigen und differenzierten Aussagen unbedingt empfehlen kann, nicht zuletzt auch wegen der Methoden- und Materialienfülle.
Prof. Dr. Ulrike Petermann, Bremen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993