Buchbesprechungen
staunt er, welche vielfältigen Aspekte sich hinter seinem Schwarzsehen und seiner Nörgelei verbergen.
Wie ihre Wortschöpfung schon vermuten läßt, sieht die Autorin im Negaholismus eine Sucht nach Negativem. Der Negaholiker kann als Süchtiger nicht anders als sich fertig zu machen. Dazu bieten sich ihm 4 Möglichkeiten: Als Einstellungsnegaholiker überfordert er sich ständig selbst, der Verhaltensnegaholiker sabotiert sich selbst, der geistige Negaholiker peitscht sich mit quälenden Gedanken und der verbale Negaholiker kann an Nichts ein gutes Haar lassen. Diese Typisierung wird mit vielen Beispielen erläutert, und mancher Leser wird sich wohl an der einen oder anderen Stelle selbst ertappt fühlen.
Bei der Suche nach den Ursachen wird die Verfasserin in der Kindheit der Negaholiker fündig. Negaholismus als ein Versuch, frühkindliche Verletzungen und entmutigende Familienerfahrungen zu verarbeiten, entwikkelt sich im Laufe der Zeit zu einer Sucht nach Negativität. Es ist dieses negative Gefühl, daß dem Negaholiker den gewissen Kick gibt, den er schließlich immer wieder wie ein Süchtiger braucht. Damit verstrickt er sich in einen Teufelskreis, in dem er durch lieblosen Umgang mit seinen Fehlern immer wieder all das verstärkt, was er eigentlich abbauen will. Hinzu kommt die negativ gefärbte Aufmerksamkeit von außen, die das
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negaholische Geschehen noch verstärkt. Aus diesem Sumpf kann der Negaholiker sich kaum alleine befreien. Die Autorin nimmt ihn bei der Hand und stellt ihm Schritt für Schritt einen Weg vor, diesem tristen Dasein doch noch zu entkommen.
Zunächst steht am Anfang die ehrliche Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Was oft Ergebnis einer langen Therapie ist, handelt die Autorin auf wenigen Seiten voller Allgemeinplätze ab. Hilfreicher— und über ein Buch auch leichter darstellbar — ist hingegen die Auseinandersetzung mit dem Denken des Negaholikers. Viele negative Botschaften, oft noch aus der Kindheit stammend, kritisieren, verurteilen, werten ab und nörgeln an allem herum. Sie haben sich verselbständigt und als innere Stimmen breit gemacht. Es folgen viele praktische Hinweise und kreative Möglichkeiten, diese unguten Geister im Kopf wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. In der Darstellung der eher kognitiven Arbeit liegt auch die Stärke des Buches. Hier kann sich der Negaholiker selbst auf die Schliche kommen und die vielen Fallen erkennen, die er sich immer wieder stellt.
Die zweite Hälfte des Buches versucht nun Wege aufzuzeigen, wie der Negaholiker das halb leere Glas auch als ein halb volles wahrnehmen kann. Fairerweise konfrontiert die Autorin den Leser mit der Aussicht, daß er sich damit auf einen langwierigen Prozeß
einläßt, der die tägliche Aufmerksamkeit erfordert, wahrscheinlich sogar für den Rest seines Lebens. Während ein echter Negaholiker jetzt vermutlich frustriert die Lektüre abbricht, kann der neugierig gewordene im folgenden viele praktikable und bis ins Spirituelle reichende Hinweise für einen liebevollen Umgang mit sich finden. Praktikabel und sofort umsetzbar sind die Erste Hilfe Ratschläge beim plötzlichen Negaholismus-Anfall: Sie reichen vom Wasser ins Gesicht schütten über spontanes Aufschreiben bis hin zu einem Spiegel-Selbstgespräch. Der Schwarzseher, der sich durch dieses Buch arbeitet, kann aus der Lektüre vieles über sich selbst und seine negaholischen Mitmenschen erfahren. Er findet bei der Autorin Verständnis und Ermutigung und wird sich in den zahlreichen Fallbeispielen selbst wiederentdecken. Der wissenschaftlich Interessierte und therapeutische Fachmann wird in der theoretischen Grundlegung vieles vermissen. Das Buch ist eher populärwissenschaftlich als Selbsthilfe für leichtere Fälle von Negaholismuis geschrieben. Wer unter Negaholikern zu leiden hat und ihnen (dennoch) helfen möchte, dem wird dieses Buch von Nutzen sein. Er kann die Negativität dieser Menschen besser verstehen und ihnen vielleicht sogar nützliche Hinweise geben, ihre Selbstblockade zu überwinden.
Johannes Schumacher, Geldern
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993