Aufgabenorientierte Persönlichkeitsentwicklung Konsequenzen der Förderarbeit für geistig behinderte, erwachsene
Menschen in England
Von H.C. Günzburg
In diesem Essay werden drei Fördermodelle, die sich im Zuge der Realisierung des Normalisierungsprinzips in Großbritannien entwickelt haben, anhand der englischen Fachliteratur besprochen. Die traditionelle medizinischklinische Vorgehensweise, bei der geistigbehinderte Personen in Krankenhäusern untergebracht werden, wurde durch Reformversuche(Modell T) verbessert. Modell I wurde durch eine sozial-industrielle Förderung in offenen Gemeinschaften(Modell IT) abgelöst. Das Modell II war jedoch trotz vieler Verbesserungen nicht so befriedigend, wie es erhofft worden war. Nun zeichnen sich Entwicklungen ab, die auf die individuelle, aber systematische Persönlichkeitsentwicklung hinzielen(Modell III). Dies wird dadurch erreicht, daß das Wohnheim in den pädagogischen Förderplan einbezogen wird.
This paper discusses three developmental models on the basis of the scientific British literature which evolved in pursuance of the“Normalisation Principle” applied to the Mental Handicap Services in Great Britain. The traditional medical/clinical approach by isolating mentally handicappedpersons in institutions was improved by reforming attempts(model 1). It was followed by the sociallindustrial approach(model II) in the open community, which, however was not as satisfactory as expected, despite many improvements. Recently the beginnings of new educational efforts can be observed, which aim at a systematic personality development by integrating the living unit in the pedagogical approach
Einleitung
Die große Entinstitutionalisierungs-Welle hatte in England zu einer beträchtlichen Anzahl kleiner und mittelgroßer Wohnheime für Menschen mit geistiger Behinderung geführt. Diese Bewegung scheint in letzter Zeit mit weniger Schwung vorangetrieben zu werden. Hierfür sind nicht nur größer werdende Schwierigkeiten verantwortlich. Ist es doch nun notwendig geworden, diejenigen Menschen aus den Anstalten auszusiedeln, die allergrößte Hilfe benötigen. Auch finanzielle Bedenken und veränderte Prioritäten sind nicht die einzigen Gründe für die Verlangsamung der Welle. Es istauch ein Moment des Besinnens und der Überlegung eingetreten, um die Folgen des Kurswechsels genau zu analysieren. Schließlich sollte das Erreichte mit den Zielen verglichen werden, die durch die Schließung der großen
Anstalten erreicht werden sollten. Man wurde sich bewußt, daß die bloße Verlegung der Anstaltsinsassen in kleine, in der offenen Gemeinschaft gelegene Wohnheime zwei Gesichtspunkte hat. Eine Verbesserung der materiellen Lebensqualität der Behinderten wurde dadurch zwar erreicht, dies bedeutete aber nicht unbedingt eine Verbesserung ihres Status in der offenen Gemeinschaft.
Die Aussiedlung in die offene Gemeinschaft ist nur die Basis für eine Förderung
Obwohl der normalisierende Umzug aus der geographisch isolierten Großanstalt in die kleineren Gruppenheime von nahezu allen professionellen Stimmen grundsätzlich begrüßt wird, mehren sich die Bedenken. Es wird davor gewarnt, eine bloße Änderung der Wohnverhält
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIII, Heft 1, 1992
nisse als den entscheidenden Faktor zu betrachten, der einen Großteil der Schwierigkeiten automatisch beseitigen könnte. Die Aussiedlung der Menschen in die offene Gemeinschaft, von der sie bisher ferngehalten wurden, schafft zwar die Basis für eine bessere Förderung, sie bedeutet aber nicht Förderung schlechthin. Obwohl die neuen Lebensbedingungen ohne Zweifel der Persönlichkeitsentwicklung dienen, besteht nichtsdestoweniger die Gefahr, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben, bevor das ganze Potential für eine ausgeglichene Persönlichkeitsentfaltung ausgeschöpft wurde.
Micro-Institutionalisierung
Schlagwörter wie‘“Micro-Institutionalisierung”(Sinson 1990) oder“Neo-Institutionalisierung”(Günzburg& Günzburg
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