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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Heinrich Tröster& Michael Brambring+ Spiele und Spielmaterialien blinder unde sehender Kinder

Gegenständen aufweisen. Erst im 6. Le­bensjahr zeigten auch blinde Kinder ver­mehrt Symbolspiele, wobei es sich bei diesen Spielen weniger um das Spielen mit Miniaturen als vielmehr um verbale Rollenspiele zu handeln scheint. In die­sen Rollenspielen imitieren blinde Kin­der unterschiedliche Personen mit ihren Stimmen und spielen reale oder ausge­dachte Szenen nach.

Sowohl für sehende als auch für blinde Kinder ließ sich eine Zunahme des Symbolspiels bei gleichzeitiger Abnah­me des Spiels mit Gebrauchsgegenstän­den feststellen. Jedoch ergab sich diese Zunahme bzw. Abnahme für blinde Kin­der erst im 5.6. Lebensjahr, während sie bei sehenden Kindern bereits in der 2. Hälfte des 2. Lebensjahres beobachtbar war.

Die Ergebnisse belegen die Bedeutung von akustischem Spielmaterial und aku­stischen Spielformen für das blinde Kind. Durch die Geräuschobjekte und durch die Produktion von Geräuschen kann das blinde Kindeinen für sich stimulierenden Effekt auslösen und Ursache und Wir­kung seiner Handlungen wahrnehmen. Deutliche Unterschiede zwischen blin­den und sehenden Kindern ergaben sich im Eltern-Kind-Spiel. Für Eltern blinder Kinder scheinen Schmusespiele auch mit zunehmendem Alter ihrer Kinder eine wichtige Form der Interaktion zu ihrem Kind zu bleiben. Eltern blinder Kinder müssen offensichtlich ihre Zuwendung vermehrt über den Körperkontakt aus­drücken, da Blickkontakt und Gestik als Zeichen der Zuwendung für ihr blindes Kind nicht zur Verfügung stehen.

Entwicklungsförderung blinder Kin­der. Durch gezielte Entwicklungs­förderung sollten die spielerischen Kom­petenzen blinder Kinder verbessert wer­den. Allerdings wäre es sicherlich illusio­när anzunehmen, daß ein völliger Aus­gleich der blindheitsbedingten Einschrän­kungen möglich wäre. Vielmehr geht es darum, durch kompensatorische Maß­nahmen blinde Kinder zu befähigen, durch ihr Spiel kindgemäße Umwelter­fahrungen zu sammeln.

Eine wesentliche Erschwernis für blinde Kinder besteht in der eigenständigen Spielaufnahme, da ihre Fortbewegungs­und Orientierungsmöglichkeiten einge­schränkt sind. Durch systematische Orien­tierungs- und Mobilitätsübungen schon im Klein- und Vorschulalter könnten blin­de Kinder befähigt werden, sich eigen­ständig Spielmaterial zu holen, so daß sie weniger auf die Unterstützung ande­rer Personen angewiesen sein würden. Durch die größere Mobilität würden ins­gesamt die Möglichkeiten zum Explora­tions- und Spielverhalten blinder Kinder zunehmen.

Eine grundlegende Frage ist, ob blinde Kinder mit dem gleichen Spielmaterial wie sehende Kinder gefördert werden können oder ob vermehrt blindenad­äquates Spielmaterial verwendet werden sollte. Der sinnvollere Weg scheint zu sein, nach blindenspezifischen Materia­lien und Spielen zu suchen, da die mei­sten Spielmaterialien für ein blindes Kind wenig stimulierende Wirkung haben. Bisher gibt es zu wenig geeignetes Spiel­material für blinde Kinder, vor allem für komplexere Funktionsspiele und für das Symbolspiel.

Für das gegenständliche Funktionsspiel sollten Spielmaterialien entwickelt wer­den, die bei Manipulation einen für das Kind interessanten Effekt hervorrufen, z.B. Bauklötze, die in richtiger Reihen­folge aufeinandergestellt, die Tonleiter erzeugen. Das Konstruktionsprinzip von blindenadäquatem Spielmaterial muß sein, daß das blinde Kind Ursache und Wirkung seiner Handlung selbst kontrol­lieren kann und daß der erzeugbare taktile oder auditive Effekt motivierend für das blinde Kind ist. Nur durch solche Mate­rialien läßt sich auch bei blinden Kindern eine Motivation für das Spiel mit Gegen­ständen wecken, da herkömmliches Spiel­material aufgrund der manuell-koordina­tiven Anforderungen für das blinde Kind wenig stimulierend ist.

Auch akustische Spiele lassen sich für blinde Kinder in vielfältiger Weise ein­setzen, insbesondere auch für die Ent­wicklungsförderung kognitiver Fähigkei­ten, Indem man beispielsweise das blin­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1992

de Kind auffordert, eine Reihe von pro­duzierten Tönen laut, leise, laut,... fortzusetzen, fördert man kognitive Prin­zipien, die bei sehenden Kindern übli­Cherweise mit Formen oder Farben geübt werden.

Besonderes Augenmerk in der Entwick­lungsförderung blinder Kinder sollte auf das Symbolspiel gelegt werden. Ähnlich wie für das Funktionsspielzeug gilt, daß das Interesse für herkömmliche Symbol­spielzeuge meist nur visuell geweckt wer­den kann. Eine Erleichterung für blinde Kinder wäre es, wenn Symbolspielzeuge entwickelt würden, die nicht nur eine optische, sondern auch eine taktile, aku­stische oder sogar geruchsmäßige Ähn­lichkeit mit den realen Objekten oder Personen hätten. Unter Umständen reicht auch dieser Weg der größeren Objekt­ähnlichkeit zwischen Symbolspielzeug und realem Objekt oder realer Person nicht aus. Eventuell müssen andersartige Möglichkeiten überlegt werden, um eine Symbolisierung blinden Kindern zu er­leichtern. Vielleicht gelingt blinden Kin­der die Symbolisierung eher über die Bewegungsähnlichkeit von Spielhand­lung und Realität und nicht so sehr über die Objektähnlichkeit zwischen Symbol­spielzeug und realem Objekt oder realer Person. Beispielsweise kann eventuell für ein blindes Kind, das eine Spielzeug­schaukel abtastet, die Symbolisierung dadurch erleichtert werden, daß es nicht nur die Spielzeugschaukel abtastet, son­dern auch die Schaukelbewegung mit den Fingern auf der Spielzeugschaukel durchführt. Nichtdas ObjektSpielzeug­schaukel, sondern erst der Bewegungs­ablaufschaukeln mit den Fingern auf der Spielzeugschaukel ermöglicht blin­den Kindern eventuell die Übertragung von der Spielhandlung in die Realität. Bisher liegen erst wenige Erfahrungen über solche blindenspezifischen Spielan­regungen vor, die eine Kompensation für die Einschränkungen blinder Kinder im Spielverhalten ermöglichen können. Adäquate Spielförderung blinder Kinder stellt eine große Herausforderung an die weitere Forschung dar.

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