Buchbesprechungen
Buchbesprechungen
Stössel, J.-P.(1991, Hg.). Tüchtig oder tot. Die Entsorgung des Leidens. Herder, Freiburg. 187 Seiten.
Es scheint zur Zeit einen guten Markt für Ethik-Publikationen zu geben. Seit man im Jahre 1989 den australischen Ethiker Peter Singer hier bei uns im Lande an Vorträgen zu ethischen Grenzsituationen gehindert und zum Schweigen gebracht hat, gibt es eine Hochkonjunktur für diese Thematik. Erst erfaßte sie die Regionalpresse, dann die überregionale Presse und die Fachzeitschriften. Seit 1990 werden in kurzen Abständen Bücher zu ethischen Themen am laufenden Band produziert. Die meisten der recht schnell herausgebrachten Werke sind nicht gut vorbereitet. Als Zeitzeugnisse werden sie Bestand haben. Es sind engagierte, aber wenig substantiierte Plädoyers für bzw. gegen bestimmte ethische Ansichten. Als analytische Klärungsversuche ethischer Probleme der Euthanasie, der Abtreibung, der Gentechnologie etc. sind sie kaum zu gebrauchen. Die Sammelschrift von Stössel gehört in diesen Kontext. Eine Reihe der insgesamt vierzehn beitragenden Autoren taucht auch in anderen Publikationen der beiden letzten zweieinhalb Jahre immer wieder auf: der Mediziner Klaus Dörner, der Pädagoge Wolfgang Jantzen, der Philosoph Robert Spaemann und als Vertreter der Gruppe Behinderter Ferdi Saal. Neue Sachinformationen enthält das Buch kaum. Schon die Sprache vieler Beiträge macht deutlich, daß es ihnen nicht darauf ankommt, zu informieren oder Argumente gegen vermeintlich lebensbedrohende Positionen und deren Vertreter zu entwickeln. Stössel redet von“Umtrieben der DGHS”(23), Wunder berichtet über die“Badewannenmethode, deren Copyright die DGHS nach dem Tod von Uwe Barschel auch gleich für sich reklamierte”(98). Auch Jantzen, der schon in der Überschrift von“Singers Barbarei” spricht, verzichtet nicht darauf, erneut die angeblichen“Horrorszenarien der>Praktischen Ethik<“(154) Peter Singers an den Pranger zu stellen. Spaemann redet vom ersten Lebensjahr als einer Zeit,“in der Singer Kinder als Freiwild betrachtet”(144). Etc. etc. Klänge dieser Art sind nicht neu. Sie werden bereits mit dem Titel dieser Sammelschrift angekündigt:
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“Tüchtig oder tot. Die Entsorgung des Leidens”. Aberes gibt andere Beiträge, denen es nicht um Stimmung geht. Gine Elsner, selbst Mutter eines behinderten Kindes, schildert ihre eigene Situation. In den Diskussionen, so schreibt sie, gehe es“um das Recht vor allem geistig Behinderter, ein menschenwürdiges Leben zu leben. Um die Mütter dieser Behinderten geht es eigentlich nie”(59). Sie reklamiert, daß die,“die sich mit der Ethik befassen,... keinerlei Ahnung von der wirklichen Situation der Mütter”(65) haben. Sie hat nicht ganz recht. In“Should the baby live; the problems of handicapped children” (Oxford University Press 1985) von Helga Kuhse und Peter Singer sind solche empirischen Untersuchungen beschrieben und in die ethische Erörterung mit einbezogen. Dennoch sollte der Beitrag von Gine Elsner zu Recht ein Anstoß sein, Forschungsaktivitäten in der geforderten Richtung zu entwikkeln. Tut er das, so bekommt auch ein Buch wie das von Stössel herausgegebene einen guten Sinn.
Prof. Dr. Christoph Anstötz, Dortmund
Grohnfeldt, Manfred(Hrsg.): Handbuch der Sprachtherapie. Band 1: Grundlagen der Sprachtherapie. Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin 1989. 355 Seiten, DM 64,—. ISBN 3-89166440-0
Grundlagen der Sprachtherapie ist der erste Teil des achtbändig konzipierten Handbuchs der Sprachtherapie, von dem inzwischen drei Bände erschienen sind.
Grohnfeldt, Direktor des Seminars für Sprachbehindertenpädagogik an der Universität zu Köln, wendet sich als Herausgeber des Handbuchs an Praktiker, Studenten und Wissenschaftler, die im Bereich der Sprachtherapie tätig sind und will diesen durch ein breit angelegtes Gesamtkonzept einen umfassenden Überblick zu Fragen der Sprachtherapie vermitteln. Der vorliegende Band 1
versteht sich dabei übergreifend und einleitend zu den Folgebänden und versucht primär auf allgemeine Fragestellungen und theoretische Reflexionen einzugehen. Grohnfeldt, für den Sprachtherapie ein interdisziplinäres Aufgabengebiet mit einer Vielzahl an beteiligten Wissenschaftsdisziplinen ist, gelang es, eine breite Palette von namhaften Fachvertretern als Mitautoren zu gewinnen und gliedert seinen ersten Band in die Kapitel:
— Der Beitrag unterschiedlicher Wissenschaften im Rahmen der Sprachtherapie; — Perspektiven der Sprachtherapie; Altersspezifische Handlungsfelder; Einzelfragestellungen der Sprachtherapie
und setzt sich im Epilog mit offenen Fragen der Sprachtherapie kritisch auseinander.
Im einleitenden Kapitel“Der Beitrag unterschiedlicher Wissenschaften im Rahmen der Sprachtherapie” wird der Interdisziplinarität des Arbeitsgebietes Sprachtherapie Rechnung getragen, wohl wissend, daß sich neben Vertretern aus Pädagogik und Medizin in den letzten Jahrzehnten Phonetiker, Linguisten, Psychologen,, Soziologen u.a. dem Aufgabengebiet zugewandt haben.
Während sich Grohnfeldt mit der pädagogischen Sichtweise, dem Therapiebegriff und dem Menschenbild in der Sprachtherapie beschäftigt und seine Vorstellung über Sprachbehindertenpädagogik/Logopädie als Integrations- und Handlungswissenschaft darlegt, setzt sich Braun als Psychologe mit den klinisch-psychologischen Aspekten auseinander, unterbreitet seine Vorschläge für ein Deskriptions- und Klassifikationsschema für Sprachstörungen sowie eine nosologische Klassifikation von Artikulationsstörungen, reflektiert die gegenwärtige Situation der Sprachtherapie und akzentuiert dabei ihr Verhältnis zur Psychotherapie.
Der Mediziner und Stimmexperte Gundermann verweist auf die Phylogenese, geht der Frage nach, wie der Mensch sprachfähig wurde, welches die anatomischen und physiologischen Korrelate des Sprachvermögens sind und äußert sich zum Beitrag der Medizin im Aufgabengebiet Sprachtherapie, wobei auch ereiner integrativen Betrachtungsweise folgt
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIII, Heft 1, 1992