keit bei geistig behinderten Erwachsenen kein adäquates Verfahren zur Verfügung steht, wurden der Bunte Matrizenund der Progressive Matrizen-Test aus der Testbatterie für geistig behinderte Kinder(Bondy, Cohen, Eggert& Lüer, 1975) durchgeführt. Weil einerseits für die untersuchte Altersgruppe keine Normen existieren, andererseits aber auch kein Maß für die Leistung relativ zu einer bestimmten Normstichprobe im Rahmen der zu untersuchenden Fragestellung notwendig war, diente als Kriterium bei der Einschätzung der intellektuellen Leistungsfähigkeit der Test-Rohwert— also die Anzahl richtig gelöster Aufgaben— einer jeden Versuchsperson. In Abhängigkeit von ihrem erreichten Test-Rohwert wurden die Versuchspersonen einer der folgenden drei Gruppen zugeteilt: “leichter Behinderungsgrad”(Test-Rohwert zwischen 24 und 35),“mittlerer Behinderungsgrad”(Test-Rohwert zwischen 8 und 20), und“schwerer Behinderungsgrad”(Test-Rohwert zwischen 0 und 6). Die Gruppe mit leichtem Behinderungsgrad umfaßte sechs weibliche und zehn männliche Probanden im Alter von 18 bis 39 Jahren(Altersdurchschnitt: 27.9 Jahre). In die Gruppe mit mittlerem Behinderungsgrad fielen 12 weibliche und 16 männliche Probanden im Alter zwischen 21 und 46 Jahren(Altersdurchschnitt: 30.9 Jahre), und in die Gruppe mit schwerer Behinderung sechs weibliche und zehn männliche Probanden im Alter zwischen 24 und 52 Jahren(Altersdurchschnitt: 35.7 Jahre). In allen drei Gruppen waren die DS- und GB-Versuchspersonen gleich verteilt.
Reaktionszeitmessung
Die Reaktionszeitmessung wurde mittels eines Leeds Psychomotor Testers durchgeführt. Bei dieser Art der Reaktionszeitmessung sitzt die Versuchsperson an einem Tisch, auf dem sich das sogenannte Reaktionsfeld befindet. Das Reaktionsfeld mit den Maßen 40 x 30 cm besteht aus sechs halbkreisförmig angeordneten wegfreien Antworttasten und einer jeweils dazugehörigen lichtemittierenden Diode(LED). Unterhalb dieses
Thomas Rammsayer& Arno Koch* Psychomotorische Leistung bei Down-Syndrom
Halbkreises zentral angeordnet ist eine Ruhetaste. Die Versuchsperson hat die Aufgabe, den Zeigefinger ihrer dominanten Hand auf die Ruhetaste zu legen und, wenn eine der LEDs aufleuchtet, schnellstmöglich die Ruhetaste zu verlassen und die der aufleuchtenden LED zugeordnete Antworttaste zu betätigen. Welche der sechs LEDs jeweils aufleuchtet wird über einen Zufallsgenerator bestimmt.
Anstelle der Gesamtreaktionszeit wurden, um eine differenziertere Analyse der Reaktionszeit zu gewährleisten, die Lift-off-Zeit und die Ausführungszeit als zwei unabhängige Reaktionszeitkomponenten erfaßt. Die Lift-off-Zeit repräsentiert die Zeitdauer vom Aufleuchten der LED bis zum Verlassen der Ruhetaste, während die Ausführungszeit als die Zeitdauer vom Verlassen der Ruhetaste bis zum Betätigen der entsprechenden Antworttaste definiert ist. Die Summe aus Lift-off-Zeit und Ausführungszeit entspricht damit der Gesamtreaktionszeit. Zusätzlich wurde für diese beiden Reaktionszeitkomponenten jeweils die entsprechende intraindividuelle Standardabweichung als Maß für die individuelle Variabilität einer jeden Versuchsperson bestimmt.
Versuchsdurchführung
Die Versuchsperson saß an einem Tisch auf dem die Versuchsapparatur so aufgebaut war, daß das Reaktionsfeld mit den sechs LEDs und ihren korrespondierenden Antworttasten sich in einem Augenabstand von ca. 55 cm befand. Damit lagen sowohl die LEDs als auch die Antworttasten innerhalb des Gesichtsfelds der Versuchsperson, so daß für die Reaktionszeitaufgabe keine Kopfbewegungen erforderlich waren. Die Versuchspersonen wurden eingehend mit der Funktionsweise des Gerätes vertraut gemacht, wobei die jeweilige Instruktion aufgrund der interindividuellen Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit entsprechend variiert werden mußte. Nach 15 Übungsdurchgängen wurde mit der eigentlichen Reaktionszeitmessung begonnen, die aus insgesamt 30 Durchgän
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII Heft 2, 1992
gen bestand. Die durchschnittliche Untersuchungsdauer für eine Versuchsperson betrug etwa fünfzehn Minuten.
Statistische Verfahren
Zur inferenzstatistischen Analyse des Einflusses der Behinderungsart und des Behinderunggrads auf die erhobenen Reaktionszeitkennwerte wurden zweifaktorielle Varianzanalysen gerechnet mit dem zweifach gestuften Gruppierungsfaktor“Behinderungsart”(GB vs. DS) und dem dreifach gestuften Gruppierungsfaktor“Behinderungsgrad”(leicht vs. mittel vs. schwer). Signifikante Interaktionen wurden mittels t-Tests und einfaktoriellen Varianzanalysen lokalisiert. Als A-posteriori- Verfahren für multiple Vergleiche innerhalb des dreifach gestuften Faktors“Behinderungsgrad” wurde der Scheff&-Test angewandt.
Ergebnisse
In Tabelle 1 sind die Lift-off-Zeit und die Ausführungszeit für die Gruppe der geistig Behinderten und die Gruppe mit Down-Syndrom in Abhängigkeit vom Behinderungsgrad aufgeführt. Die entsprechenden Werte der intraindividuellen Standardabweichungen dieser beiden Reaktionszeitmaße sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Die DS-Gruppe weist mit 717 ms zwar eine längere Lift-offZeit auf als die GB-Gruppe mit 598 ms, aber der Haupteffekt“Behinderungsart” (F(1,54)= 3.7, p=.06) erreicht nicht das 5%-Signifikanzniveau. Dagegen konnte ein hoch signifikanter Einfluß des Behinderungsgrads auf die Lift-off-Zeit nachgewiesen werden(F(2,54)= 11.5), p< 001). Die Lift-off-Zeiten der Versuchspersonen mit leichter und mittlerer Behinderung waren mit 534 bzw. 590 ms signifikant kürzer als bei den Versuchspersonen mit schwerer Behinderung mit einer Lift-off-Zeit von 898 ms(jeweils p <.01 im Scheff&-Test; vgl. Abbildung 1). Eine signifikante Interaktion zwischen Behinderungsart und Behinderungsgrad trat nicht auf. Bei der Ausführungszeit war die DS-Gruppe mit 611 ms deutlich
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