Stichprobengröße(leichter Behinderungsgrad: n= 16, mittlerer Behinderungsgrad: n= 28, schwerer Behinderungsgrad: n= 16) in Verbindung mit inhomogenen Varianzen können die Aussagekraft der F-Statistik möglicherweise verzerrt haben. Eine adäquatere Vorgehensweise würde eine logarithmische Transformation der Daten darstellen. Allerdings kann durch Logarithmierung eine orthogonale Interaktion, wie sie als ein wesentliches Ergebnis der vorliegenden Studie beim varianzanalytischen Vergleich der Ausführungszeit in Abhängigkeit von Behinderungsart und Behinderungsgrad auftrat, zum Verschwinden gebracht werden. Aus diesem Grund haben wir zur statistischen Absicherung des aus differenzorientierter Sicht besonders wichtigen Unterschieds in der Ausführungszeit zwischen der DSund der GB-Gruppe mit schwerem Behinderungsgrad zusätzlich, als verteilungsfreies Verfahren, den U-Test von Mann-Whitney angewandt. Das Ergebnis des U-Tests(U=0.0,p<.001) und die Tatsache, daß es keine Überlappung der Verteilungen der Reaktionszeitwerte für die Ausführungszeit zwischen der DSund der GB-Gruppe mit schwerem Behinderungsgrad gibt, sprechen gegen den potentiell berechtigten Einwand, daß die statistisch signifikanten Leistungsunterschiede zwischen diesen beiden Gruppen durch Verletzung der Voraussetzungen der Varianzanalyse zustande gekommen sind.
Da sich die DS-Versuchspersonen mit leichtem oder mittlerem Behinderungsgrad hinsichtlich der Ausführungszeit nicht vonden entsprechenden Vergleichsgruppen mit GB unterscheiden, ergeben sich keine Anhaltspunkte, die auf eine Beeinträchtigung bei der Erstellung und Anwendung von motorischen Programmen Oder den wirksamen Einfluß eines erniedrigten Muskeltonus bei diesen beiden DS-Gruppen im Vergleich zu den entsprechenden GB-Vergleichsgruppen hinweisen.
Da in der vorliegenden Untersuchung weder für die Lift-off-Zeit noch für die Ausführungszeit Reaktionszeit-Unterschiede zwischen DS- und GB-Versuchspersonen mit leichtem oder mittlerem
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Thomas Rammsayer& Arno Koch* Psychomotorische Leistung bei Down-Syndrom
Behinderungsgrad demonstriert werden konnten, kann zumindest bei leichtem und mittlerem Behinderungsgrad nicht von grundsätzlichen psychomotorischen Leistungsunterschieden dieser beiden behinderten Gruppen ausgegangen werden. Dieser Sachverhalt hat möglicherweise auch dazu beigetragen, daß in einigen Untersuchungen zu Reaktionszeitunterschieden zwischen Menschen mit DS und GB keine Leistungsunterschiede bestätigt werden konnten. In einer Studie von Knights et al.(1967) konnten keine Unterschiede bei einer visuellen Einfach-Reaktionszeitaufgabe zwischen einer DS- und einer GB-Gruppe nachgewiesen werden. Allerdings haben diese Autoren mehrere Versuchspersonen nicht in ihre Untersuchung miteinbezogenen, von denen sie annahmen, daß sie nicht in der Lage seien, die geforderten Aufgaben zu bewältigen. Die Gültigkeit dieser Untersuchung wird leider auch dadurch eingeschränkt, daß von jeder Versuchsperson nur jeweils fünf Einzel-Reaktionszeiten mit der linken und der rechten Hand erhoben wurden. Aber in fünf weiteren psychomotorischen Leistungsmaßen(z.B. Tapping und ein Hand-Steadyness-Test), die zusätzlich von Knights et al.(1967) im Rahmen ihrer Untersuchung erhoben wurden, waren ebenfalls keine Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen belegbar. Ebenso konnte Clausen(1968), der ähnlich wie Knights et al.(1967) solche Versuchspersonen, die nicht alle in seiner Untersuchungsserie angewandten Testverfahren bearbeiten konnten, nicht bei der Auswertung berücksichtigte, keine Reaktionszeit-Unterschiede zwischen einer DS- und einer hinsichtlich Lebensalter, Intelligenzalter, IQ und Geschlecht vergleichbaren GB-Gruppe nachweisen. Auch MacKay und Bankhead(1983), die jeweils neun Versuchspersonen mit DS, mit Epilepsie und mit undifferenzierter GB mit Hilfe von drei verschiedenen Reaktionszeitaufgaben untersuchten, fanden keine Leistungsunterschiede. Möglicherweise war für dieses Ergebnis die Tatsache entscheidend, daß das durchschnittliche Intelligenzalter der drei Untersuchungsgruppen mit 6.9 Jahren verhältnismäßig hoch lag. In allen drei Studien wurden of
fensichtlich Versuchspersonen mit schwerem Behinderungsgrad nicht berücksichtigt. Da ausgehend von den Ergebnissen der vorliegenden Studie signifikante Reaktionszeitunterschiede zwischen Untersuchungsgruppen mit DS und GB nur bei Versuchspersonen mit schwerem Behinderungsgrad erwartet werden können, überrascht es nicht, daß in den oben erwähnten Studien keine Leistungsunterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen belegt werden konnten.
Geistig Behinderte weisen im Vergleich zu nichtbehinderten Versuchspersonen nicht nur längere Reaktionszeiten, sondem auch eine deutlich größere intraindividuelle Variabilität der Reaktionszeiten auf(Baumeister& Kellas 1968a; Berkson& Baumeister 1967). Der Vergleich der intraindividuellen Variabilität von DS- und GB-Versuchspersonen in der vorliegenden Studie belegt, daß für beide Diagnose-Gruppen sowohl bei der Lift-off- als auch bei der Ausführungszeit jeweils von einer vergleichbaren intraindividuellen Variabilität unabhängig vom Behinderungsgrad ausgegangen werden kann. Eine Ausnahme bilden allerdings die DS-Versuchspersonen mit schwerem Behinderungsgrad, die eine sehr viel höhere intraindividuelle Variabilität sowohl im Vergleich zu den DSVersuchspersonen mit leichtem und mittlerem Behinderungsgrad als auch im Vergleich zur entsprechenden GB-Gruppe mit schwerem Behinderungsgrad aufweisen. Die intraindividuelle Variabilität kann als ein Indikator angesehen werden, inwieweit eine Versuchsperson in der Lage ist, ihr optimales Leistungsniveau über die Zeit aufrechtzuerhalten (Baumeister& Kellas 1968b, 1968c) und stellt in Ergänzung zu den Reaktionszeitmittelwerten ein weiteres Maß zur Beschreibung psychomotorischer Leistung dar. Vergleichsuntersuchungen zur intraindividuellen Variabilität bei geistigbehinderten und nichtbehinderten Versuchspersonen ergaben neben höheren Reaktionszeitmittelwerten auch konsistent eine größere intraindividuelle Variabilität der Reaktionszeiten(Berkson & Baumeister 1967; Baumeister& Kellas 1968a,c). Diese größere intraindividuelle Variabilität der geistig Behinderten im
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII Heft 2, 1992