Siegbert Kratzsch* Zusammenhang von Symbolbildung und Sprachentwicklung
Gegenstandserfahrung einerseits und sozialemotionaler Interaktionserfahrung andererseits.
Diese Arbeitsgrundlage hat sich praktisch und theoretisch weiterentwickelt. Bei der Frage, wie denn affektive und kognitive Gegenstands- und Personenerfahrungen beim Kind zu Strukturen werden können, die eben nicht das eine getrennt vom anderen enthalten— auch Piaget hatte ja die Schemata der Gegenstände und die Personenschemata kognitiv bestimmt—, konnte ich einmal an die psychoanalytische Theorie der Objektbeziehungen anknüpfen; die Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse hat aber meist den Entwicklungsaspekt kognitiver Strukturen vernachlässigt(s. dagegen A. Leber, bes. 1989, 1990, dem ich viele Anregungen verdanke).
Um die Entwicklung des theoretischen Ansatzes grob nachvollziehen zu können, sei hier kurz zusammengefaßt: Die in den längerfristigen Einzelförderungen sichtbaren Prozesse der Sprachentwicklung, welche bei einzelnen Kindern möglich und auch in den Wendepunkten nachvollziehbar wurden, zeigten die Bedeutung der sprachvorgängigen Symbolbildungen, welche zugleich Sprachveränderungen der geförderten Kinder vorbereiteten: Ihre sprachlichen Symbolisierungen waren eben nicht die Symbolprozesse selbst.
Vielmehr wurden im kommunikativen Kontext der Fördersituation Bedeutungen, welche sich auf die Gegenstände, die Personen und die situative Einbettung bezogen, zwischen Kind und Erwachsenem ausgetauscht, miteinander geteilt und mitgeteilt. Sie machten eine veränderte Organisation und symbolische Strukturierung dieser sinnhaften Erfahrungen beim Kind möglich. Diese kommunikativ eingebettete, neue Erfahrungsorganisation des Kindes, dem meist ein verändertes Verstehen beim Erwachsenen entsprach, hatte nun eine überraschende Folgewirkung, nämlich eine freiere Form, über verschiedene“Zeichen” für diese symbolisierten Erfahrungen zu verfügen, ob das umgangssprachliche Wörter, Zahlen oder Schrift waren. Der neu gewonnene Abstand zwischen symbolisiertem Erfahrungsinhalt und dem Zeichen, das
das Kind benutzen und wechseln konnte, um seine neu strukturierte Erfahrung zu repräsentieren und so über sie erinnernd zu verfügen, war überraschend.
Bruner u.a.(Bruner, Olver& Greenfield 1971) haben bei Kindern solche Veränderungen der Repräsentationsformen für ihre strukturierten Erfahrungen gut untersucht und beschrieben, während Aebli (1981, 1982) in“Das Denken als Ordnen des Tuns” dieses Problem der Repräsentationsmodi mit der Entwicklungstheorie von Piaget verknüpft hat. In beiden Ansätzen wie in der vorliegenden Übersichtsliteratur(s. z.B. die gute Übersichtsarbeit von Richards& Richards, 1988, “The Development of Language and Imagery as Symbolic Processes”) scheint es mir ein Problem zu sein, daß für das Verhältnis von Zeichen und insbesondere von Sprachzeichen zu den symbolisierten und repräsentierten Erfahrungsinhalten des Kindes wie Erwachsenen implizit Vorannahmen gemacht werden, die den Symbolbegriff zu eng fassen. Diese qualitativen Auswertungen der Förderarbeit— ein Ausschnitt aus einer Förderung ist unter 3. reflektiert— und die gewonnenen Erfahrungen bzw. ihre theoretische Fassung ließen es nun wichtig werden zu schauen, wie denn unter ausreichenden Entwicklungsbedingungen die Spracheinführung beim kleinen Kind stattfindet.
1.2. Aspekte der Spracheinführung in der Entwicklung des Kindes
Es soll hier nur kurz an Beobachtungen und Ergebnisse dazu erinnert werden, wie das Kind die Kommunikation und dann die Sprache in Wechselwirkung zur Interaktion mit Mutter und Vater und anderen Personen erwirbt. Daß das Kind dabei zuerst Sprache verstehenlernt, also sich ein Sprachverständnis von einer akustischen sinnhaften Welt von Personensituationen aneignet, und dies in der Interaktion mit den Eltern und Geschwistern tut, wird meist zu wenig berücksichtigt.
Sprache verstehen lernen setzt eine Erfahrung des Kindes voraus, daß die Mut
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 2, 1992
ter— sie steht hier für die primären Bezugs-personen überhaupt— die Überzeugunglebt, auch die Handlungsäußerungen des kleinen Kindes haben eine sinnhafte Absicht. In der Interaktion mit einem kleinen Kind ist zu beobachten, daß Vater, Mutter, Geschwister und andere Personen tatsächlich allen Verhaltensäußerungen des Kindes Bedeutung verleihen. Sie handeln so, als ob das Kind in seinem Strampeln, suchenden Bewegungen des Kopfes, seinen körperlichen Bedürfnissen und überhaupt in allen nonverbalen Äußerungen, besonders aber auch in seinen Lautäußerungen eine Absicht bekundet und verfolgt. Mit dieser Absicht identifiziert sich die Bezugsperson, meistens besonders die Mutter, und verleiht ihr damit zugleich eine kommunikative Bedeutung
Diese Erfahrung, als Zentrum von sinnhaften Absichten erlebt zu werden, schafft überhaupt erst die Möglichkeit für das kleine Kind, sich auch seinerseits mit der Mutter und ihren kommunikativen und interaktiven Antworten zu identifizieren. Die Mutter versucht, sich nämlich im nonverbalen Austausch so zu verhalten, daß sie nicht nur das Kind in seinen Absichten versteht, sondern wiederum selbst vom Kind verstanden wird. Dadurch entdeckt sich das Kind nach seinen Absichten und Bedürfnissen im Verhalten der Mutter wieder und gewinnt nun seinerseits Anreiz und Bereitschaft, sich so zu äußern und zu handeln, daß es verstanden wird.
Mit dem Bemühen des Kindes, so zu handeln, daß es, noch jenseits der Sprache, verstanden wird— und dieses Verstanden-Werden-Wollen bleibt uns als Wunsch auch als Erwachsene erhalten—, wächst auch seine Bereitschaft, selbst zu verstehen: Es versucht, im Verhalten der Mutter wie in dem der anderen Menschen auch deren Intentionen zu erahnen und zu verstehen. Um verstanden zu werden, will das Kind zunehmend selbst verstehen; und das ist meines Erachtens der Motor dafür, daß ein Kind sich mit dem Sprachverständnis der Mutter identifiziert und zunehmend aus den interaktiven, nonverbalen wie verbalen Äußerungen ein Verständnis erster sprachlicher Kommunikation gewinnt.
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