Siegbert Kratzsch* Zusammenhang von Symbolbildung und Sprachentwicklung
Hierbei ist aus Untersuchungen gut belegt, daß das beginnende Sprachverständnis des Kindes die Mutter veranlaßt, in syntaktisch einfacher, sich wiederholender und situativ gebundener Form mit dem Kind zu sprechen, was wiederum das beginnende kindliche Sprachverständnis sicherstellt. Auch werden durch den Blick der Mutter, der dem Blick des Kindes zu dem jeweiligen Gegenstand folgt oder, nachdem die Mutter sich der Aufmerksamkeit des Kindes versichert hat, selbst auf den Gegenstand hinblickt oder darauf hinweist, erste Verknüpfungen von Mutter, Gegenstand, Wort und Affekt gebildet. Indem das Kind Verständnis nicht von Wörtern, sondern von situativen Handlungen und Interaktionen und der in sie eingewobenen Sprache im Kontext eigener Bedürfnisse und Handlungsabsichten, welche die Mutter spiegelnd aufnimmt, erwirbt, ist auch das Sprachverständnis handlungs- und interaktionsgebunden(s. bes. Stern 1985). Auch der Großteil der ersten aktiv gebrauchten Wörter des Kindes sind ja Handlungswörter nach ihrem Gebrauch (Benedict 1978).
Die Kommunikations- und Spracheinführung macht deutlich, daß ein Blick auf die Entwicklung ohne Beachtung der komplexen Handlungs- und Interaktionserfahrungen des Kindes mit den primären Bezugspersonen, nämlich wie sie zum Verstehen und der spiegelnden Antwort auf die körpereigenen und zunehmend kommunikativen und dann sprachlichen Intentionen des Kindes fähig sind, zu kurz greifen muß. Das hat Konsequenzen, die insbesondere für die pädagogische Frühförderung kaum berücksichtigt werden.
Hierzu Zollinger(1987, 75):“Die Kontextgebundenheit der Motherese sowie die kontinuierliche Unterstützung der sprachlichen Kommunikation durch nonverbale Mittel wie Blickkontakt, Gestik und Mimik, ermöglichen dem Kind schon früh, die sprachlichen Kommunikationen der Mutter trotz vorläufiger Unkenntnis der linguistischen Regeln‘auf seine Art’ zu verstehen. Auf seine Art deshalb, weil die Sprachverständnisentwicklung in großem Maße vom kognitiven Entwicklungsstand des Kindes abhängt. Sein
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Verständnis der Handlung ist anfangs noch an den Kontext, dann an den Gegenstand gebunden, wovon es sich erst mit der Symbolentwicklung lösen kann.” Was macht nun den Zusammenhang von Kommunikation, Sprache und Symbolbildung so schwierig? Diese Schwierigkeit zu verstehen, erlaubt es erst, eine klare theoretische Ausgangsposition zu der Wechselbeziehung von Symbol- und Sprachentwicklung zu gewinnen. Sie ist für mich folgende:
Wenn wir z.B. bei Kindern, die wir in der Förderung begleiten, ihre Erfahrungsverarbeitung und das Sprachniveau mit ihrer Fähigkeit zur dezentrierten Symbolverwendung zusammenbringen und diese beispielsweise unter dem Blick einer häufig auch kognitiven Beeinträchtigung erleben— z.B. in Schwierigkeiten bei der Begriffsbildung und beim Problemlösen—, dann meinen wir die Fähigkeit, unsere Sprache als ein gegenüber den bezeichneten Objekten und Gegenständen äußerst oberflächenunähnliches, weil akustisches bzw. vokales Zeichensystem verwenden und produzieren zu können. Hier ist unsere Sprache ein Zeichensystem wie viele andere auch, wenn auch ein sehr ausgezeichnetes. Zum einen erlaubt es der Person, über die Erfahrungsinhalte von Gegenständen und Personen auch ohne ihre Gegenwart durch die sie repräsentierenden Zeichen verfügen zu können.
Dieser Zeichengebrauch sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Personen- und Gegenstandserfahrungen jenseits der Zeichen, die sie repräsentieren, schon zu strukturierten Erfahrungsgebilden organisiert sein müssen. Nur wenn das Kind diese als vom Zeichen unabhängig, d.h. durch verschiedene Zeichenanwendung nicht verändert erlebt, ist der Abstand von Zeichen und organisiertem Erfahrungsinhalt gegeben. Diese Unterschiedenheit von Zeichenvehikel und Bedeutungsinhalt betonen alle Autoren— Bruner(1966, 1971) nennt sie“displacement”, Elizabeth Bates(1979)“decontextualization” und Werner& Kaplan (1963) sprechen vom“distancing”. Es schimmert bei allen Autorinnen und Autoren die Entwicklungsvorstellung durch, daß der Differenzierungsvorgang zwi
schen dem Zeichen als Vehikel und dem bezeichneten Inhalt zu der Möglichkeit führt, daß das Kind auf diese Weise zunehmend das“Vehikel”, das Zeichen, in symbolischer Weise gebrauchen kann. Diese Auffassungen unterschlagen meines Erachtens die andere Seite des Prozesses: Die Sprache selbst, wenn sie in der oben beschriebenen Weise in der Interaktion angeeignet wird, ist selbst ein Bereich von“gegenständlicher”, nämlich akustischer Realität; das Sprachverständnis beispielsweise wird längst jenseits seiner reinen Zeichenverwendung in der späteren Sprachproduktion schon sehr früh angeeignet. Die Sprache ist immer schon ein Aspekt der Realität von ausgetauschter und interaktiver Erfahrung, also selbst“Gegenstand” wie z.B. Schnuller, Tisch, Mutter und andere Personen und Sachen.
Das hat Konsequenzen. Die Entwicklungsprozesse der Symbolisierung und ihr Verhältnis zur Sprache müssen meines Erachtens so gesehen werden, daß die symbolische Organisation von Erfahrungsinhalten mit allen affektiven, interaktiven, gegenstandsbezogenen und rudimentär sprachlichen Aspekten den eigentlichen Kern des Symbols ausmacht und nicht das Zeichen und seine Verwendung durch das Kind. Damit liegt die theoretische Aufmerksamkeit nicht auf dem Zeichen einerseits oder dem bezeichneten Inhalt andererseits, sondern auf dem Verhältnis, der Relation von organisiertem Erfahrungsinhalt und dem Zeichen.
Zu dieser Wechselbeziehung von Symbolbildung und Sprache in der Entwicklung von Kindern liegen bisher nur wenige empirische Untersuchungen vor. Sie geben Anregungen und erste Belege dafür, daß ein solches Untersuchungsvorhaben begründet und sinnvoll erscheint.
1.3. Empirische Ergebnisse zu symbolischen bzw. repräsentativen Fähigkeiten und Sprachentwicklung
Snyder(1978) hat eine Gruppe Kinder von normaler Sprachentwicklung mit
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 2, 1992