einer Gruppe sprachentwicklungsgestörter Kinder verglichen. Sie fand, daß im Vergleich zu den anderen Kindern die sprachentwicklungsverzögerten bzw. sprachentwicklungsgestörten Kinder dazu tendierten, eher wahrnehmungsgemäß gegenwärtige Elemente zu verarbeiten und zu kodieren, also solche Ereignisse, Personen oder Objekte, die nicht im Moment erlebt und gegenwärtig sind. Wie oben angesprochen, sehen Piaget (1969) und auch die anderen Autoren die Entwicklung zur Symbolfunktion und Repräsentation als einen Prozeß an, in dem sich die Sinnbedeutungen von Objekten oder Ereignissen zunehmend von den Kontextbedingungen lösen(“decontextualization” bzw.“displacement” oder “distancing”); dementsprechend zeigen sich bei Snyder in der Gruppe der sprachgestörten Kinder Hinweise für mangelnde Kontextunabhängigkeit, weil ihre Sprache vom wahrnehmungsmäßig Vorliegenden und Situativen geprägt war. Das entspricht durchaus der Erfahrungsbildung des kleinen Kindes, denn dort sind ja auch die Sinngehalte durch den Handlungskontext gebunden:
Nicht der Teller oder Löffel allein, sondern das Sitzen im Stühlchen am Tisch mit ihnen beim Essen bestimmt zunächst deren Handlungsbedeutung“zum Essen gehörig”(s. Zollinger 1987, 70). Es entsteht nicht ein Konzept“Teller”,“Löffel”, sondern eine in der Interaktion und in ihrem bedürfnisbezogenen Kontext gebildete und ihn organisierende“Sinngestalt”. Nur wenn diese“Sinngestalten” im Alltag des Kindes von Mutter und Vater bzw. den weiteren Bezugspersonen ansatzweise verstanden werden können und mit stimmigen Handlungsangeboten beantwortet werden, welche zunehmend auch dem“Sprachspiel” der Kultur und dem kindlichen Erleben entsprechende sprachliche Angebote einbeziehen, können aus den kontextgebundenen und interaktionsentstammenden Erfahrungen “präsentative Symbole”(Lorenzer 1984, nach Langer 1965) und dann“diskursive Symbole” werden. Das läßt vermuten, daß in der Herausbildung der Symbolfunktion und der kontextunabhängigen Sprache sowohl kognitive, als auch emotionale und interaktionelle Erfahrungen
Siegbert Kratzsch+ Zusammenhang von Symbolbildung und Sprachentwicklung
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im handelnden Umgang zu Sinnstrukturen organisiert werden.
Auch nach Casbys Untersuchung steht die Sprachentwicklung empirisch nachweisbar in Beziehung“to other areas of a more general symbolic/representational capacity”(Casby 1980, 35). Casby’s Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Es besteht ein hoher Zusammenhang zwischen den Sprachentwicklungsmaßen Mean Length of Utterance(MLU) und einem Maß für die Symbolbildung aus den Symbolspielen bei N=20 normal entwickelten(19 bis 32 Mon. alten) und N=20 geistig behinderten(29 bis 132 Mon. alten) Kindern(r=0,77 bzw. r=0,66), der gerade bei den geistig behinderten Kindern ansteigt(r=0,72 gegenüber r=0,67 bei den nicht behinderten Kindern), wenn die Kovarianz beider Indikatoren mit dem Alter der Kinder herauspartialisiert wird.
Allerdings ist diese Untersuchung sowohl hinsichtlich des Stadiums der Sprachentwicklung, als auch hinsichtlich der Form des Symbolspiels sehr eingegrenzt, so daß eine allgemeinere Aussage über den Zusammenhang von Symbolisierung und Sprachentwicklung nicht empirisch gesichert gemacht werden kann.
Largo& Howard(1979, zit. nach Zollinger 1987, 71) finden ebenfalls eine hohe Korrelation zwischen Symbolspiel und Niveau des Sprachverständnisses. “Entsprechend beobachtete auch Fein (1975, 1979), daß 18—-24-monatige Kinder mit einem hohen Sprachverständnisniveau signifikant mehr dezentrierte symbolische Schemata aufwiesen als Kinder mit einem niedrigen Sprachverständnisniveau”(Zollinger 1987, 72). Somit können Störungen und Verzögerungen der Sprachentwicklung bei Kindern zum einen auf linguistische Defizite im engeren Bereich der Sprachkenntnisse zurückgehen; sie können aber auch mit Störungen in der Herausbildung der Symbolfunktion zusammenhängen, welche als allgemeine notwendige Fähigkeit für den Spracherwerb angesehen werden kann(z.B. Leonard 1980).
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIIL, Heft 2, 1992
1.4 Theoretische Modellvorstellung
Diese Untersuchungen lassen es durchaus sinnvoll erscheinen, neben Auswertungen von Entwicklungsförderungen und qualitativen Vergleichsstudien den Zusammenhang von Symbol- und Sprachentwicklung empirisch-quantitativ zu erforschen. Der dabei zugrundegelegte Begriff von Symbol bzw. Symbolbildung kann in dieser Arbeit allerdings nur angedeutet werden:
An eine solche theoretische Modellvorstellung, die sowohl den Begriff der Symbolbildung explizieren, als auch das Verhältnis von menschlicher Sprache und Symbolbildung im Kontext von Entwicklung und Förderung angemessen abbilden will, ist der Anspruch zu stellen, daß sie zum einen wichtige Bereiche nicht durch einen zu engen Symbolbegriff ausschließt, denn“von allergrößter Vielfalt und Uneinheitlichkeit sind die Definitionen des Symbolbegriffs”(Nöth 1985, 96); zum anderen muß das Modell die Symbolbildung
1. als einen Prozeß erfassen können, der 2. an Verhalten und zwar an solches, das dem Menschen eigen ist, gebunden ist, nämlich . an ein Subjekt, das sich 4. gegenüber einem Objekt symbolisierend verhält und 5. affektive, sozial-kommunikative und kognitive Anteile in der Symbolbildung strukturbildend fusioniert. Hinzu kommt aber auch 6. die Möglichkeit des aufklärenden Selbstrückbezugs des Subjekts,
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denn das Subjekt erfährt sich potentiell selbst, indem es symbolisch Objekterfahrung darstellt, emotionale Bedeutung offenbart, Kontakt anbietet und Wünsche appellativ ausdrückt:“Verhalten kann sich ein Subjekt zu sich selbst qua symbolisierendes Subjket nur in Form eines Verhaltens gegenüber einem Signifikanten, der zu seiner Selbstsymbolisierung dient.”(Scholz 1991, 49)
Damit ist klar, daß das Symbol keinesfalls, wie es oft naiv verkürzt wird, nur die Repräsentation von etwas durch etwas anderes darstellt. Das Mißverständnis, daß z.B. Computer über“Symbolver
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