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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Siegbert Kratzsch+» Zusammenhang von Symbolbildung und Sprachentwicklung

arbeitung verfügen wie auch das über eindem Menschen entsprechendesSym­bolverhalten von Tieren rührt gerade daher, daß der Gebrauch der Darstel­lungsfunktion des Symbols schon als hin­reichend für Symbolverhalten gewertet wird; und dabei liegt hier doch gar kein Bewußtsein von der Darstellungsfunktion und damit von der Diskrepanz vor, die zwischen dem Zeichen bzw. seiner Rea­lität und den Objekten bzw. deren Reali­tät und Existenz, welche die Zeichen ja nuranzeigen, aber nicht sind, beste­hen. Die in denvirtuellen Welten nur dargestellten bzw. repräsentierten Ob­jekte sind eben nicht die Realität des Dargestellten selbst, auch wenn unsere Medien der Darstellung, wie TV, Com­puter u.a. es unsere Sinne vergessen las­sen wollen oder wollen wir es selbst gerne vergessen?

Die Entwicklung und nähere Ausarbei­tung dieses theoretischen Modells der Symbolbildung muß einer weiteren Ar­beit vorbehalten bleiben. Auf der Grund­lage der oben angedeuteten Forschungen und Ergebnisse hat Scholz(1991, 30 ff.) de Saussure's Theoriemodell des sprach­lichen Zeichens(de Saussure 1972; s.a. Abastado 1988) in Richtung auf eine Symbolkonzeption erweitert und einen theoretischen Ansatz diskutiert, der Spra­che unter dem Blickwinkel von sprachli­cher Symbolbildung expliziert.

1.5 Symbolbegriff

Using words as symbols is clearly neces­sary for language. The exact cognitive processes that allow symbol use have never been adaquately delineated.(Cro­mer 1987, 184)

Dem können wir uns auch nur besten­falls annähern und versuchen, eine Definition voranzustellen, die die Erfor­schung der Symbolbildung nicht durch eine vorschnelle Vereinseitigung oder Vereinfachung verstellt.

Wenn die Symbolbildung allein die Abbildungsleistung, die Codierung im Gedächtnis wäre, stände das Symbol ja nur im Wiedererkennen bei Anwesenheit des Gegenstandes zur Verfügung, der durch seine Gegenwart und den Wahr­

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nehmungsinput die Gedächtnisreaktion hervorruft. Da die Symbolisierung aber eine Konstruktion und aktive Erinne­rungsleistung gerade ohne die Gegen­wart des Gegenstandes, sozusagen ein Wiedererschaffen-Können des Abwesen­den darstellt, ohne daß die gegebenen Wahrnehmungsreize gegenwärtig sein müssen, trifft Bonnet(1980, 17) in ihrer Auseinandersetzung mit der zu engen Symbolkonzeption von Piaget den ent­scheidenden Sachverhalt:

Une conduite est une conduite symbo­liquelorsqu elle implique la connaissance dun ou plusieur faits non lies a des mo­difications des organes sensoriels. Dem­nach ist ein Verhalten dann ein symboli­sches Verhalten, wenn es die Kenntnis eines oder mehrerer Sachverhalte impli­ziert, die nicht mit einer Veränderung an den Sinnesorganen verbunden sind. Anders ausgedrückt: Symbolisch ist die virtuelle Kenntnis von Sachverhalten, deren Präsenz nicht sinnlich-sensorisch gegeben sind.

Als vorläufige Definition(Kratzsch& Scholz 1990) kann damit gelten: Symbolisierung ist die aktive Reproduk­tion in Abwesenheit des Gegenstandes. Diese Definition unterscheidet sich be­wußt von der semiotischen Auffassung von Symbolen(z.B. Sebeok 1985, 43), die die konventionelle Verbindung von Bezeichnendem und dem Bezeichneten als konstitutiv für Symbole postuliert; aber auch von der psychoanalytischen Auffasung, wie sie z.B. von Gibello(1982, 45) vorgetragen wurde, in der für das Symbol eine analoge, ähnliche Bezie­hung zwischen Signifikant und Signifikat gefordert wird, so daß die semiotische Funktion die einer Ersatzbildung ist, wo­bei die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Inhalt und Zeichen außerdem noch trans­kulturell vergleichbar sein soll.

Die Implikationen dieser Definition von Symbolisierung können an einem Bei­spiel verdeutlicht werden:

Nehmen wir an, ein Kind sitzt mit mir im Sandkasten, nimmt eine Sandform, drückt sie in den Sand, dreht die Backform um, nimmt dann etwas von dem Sand und steckt ihn in den Mund. Auch hier steht etwas für erwas anderes in einer be­stimmten sozialen Gemeinschaft. Aber

was sind die symbolischen Prozesse beim

Kind? Sind sie

sichtbar am Ergebnis?

an der Handlung?

Ist tatsächlich etwas durch das Förm­chen und die Handlung, etwas Mate­riell-Sandig-Mehliges hineinzubrin­gen, zu pressen, dann zu warten, es herauszunehmen, zum Kuchen für das Kind geworden?

Ist dasProbieren symbolisch oder tatsächliches Essen?

Die realen, sichtbaren Bestandteile von

Erfahrungen, die miteinander verknüpft

werden, sind:

Kuchen backen Kuchenessen

|| Sandform als Sand wie Kuchen Kuchenform und behandeln, Sand essen Sand hineintun

An diesem Beispiel werden drei zentrale Bestandteile im Zusmmenhang zum Sym­bol sichtbar, die hier zum Verständnis des weitern Vorgehens herausgegriffen werden sollen:

1. DasMaterial ‚das alsrepräsentieren­des Zeichenmedium in Frage kommt, und die Relation von Zeichen und repräsentiertem Inhalt:

Gegenstände: ähnliche Objekte (hier: Förmchen, Sand, die oberflä­chenähnlich zu Kuchenform und Mehl bzw. Teig sind);

zunehmend auch unähnliche Objekte bis hin zu Zeichen, die nicht gegen­ständlich sind uind anderen Sinnes­modalitäten angehören(situationsun­abhängig produzierbare Lautfolgen, Schriftzeichen)

Handlungen:(hier: Kneten oder Klopfen des Sandes bzw. desTeigs; Umdrehen der Form und Ausschüt­ten; Bewegung des Armes bzw. der Hand zum Mund u.a.)

2. Der mitmenschlicheKontext. Er kann variieren von:

Kind übernimmt etwas(hier: Kuchen­form)(Reproduktion)

Kind macht etwas eigenes(Konstruk­tion)

Gemeinsame Symbole und ihr Aus­tausch(hier: Es gilt für beide, das Kind und mich: Wir essen beide Ku­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 2, 1992