Kulturelle Unterschiede zwischen deutschen und koreanischen Lehrkräften bei der Beurteilung von erziehungsschwierigem Verhalten“
Von Hans-Peter Langfeldt
In der vorliegenden Untersuchung wird zunächst das Ausmaß der Übereinstimmung von Lehrerurteilen über erziehungsschwieriges Verhalten von Schülern innerhalb und zwischen zwei Kulturen korrelationsstatistisch beschrieben. Es wurden je 123 Lehrkräfte(73 Frauen und 50 Männer) an Hauptschulen in München und in Seoul/ Süd-Korea schriftlich befragt. Die Beurteilung von insgesamt 106 Items zu potentiell problematischem Schülerverhalten stimmt sowohl bei den deutschen als auch bei den koreanischen Lehrkräften jeweils sehr hoch überein. Zwischen deutschen und koreanischen Lehrkräften ist die Übereinstimmung dagegen deutlich geringer. In einem zweiten Schrittwerden mithilfe einer Diskriminanzanalyse die Gewichte derjenigen Items bestimmt, deren Beurteilung zu einer optimalen Trennung der beiden Kulturgruppen führt. Sie lassen sich zum Bild eines äußerlich auffälligen“Punkers” zusammenfügen, den deutsche Lehrkräfte als unproblematisch, koreanische jedoch als problematisch einschätzen. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der Philosophie von Konfuzius diskutiert, die auch heute noch das gesellschaftliche Leben in Süd-Korea wesentlich beeinflußt.
This cross-cultural study describes teachers’ perceptions of problem behavior of students in two different cultures. 246 teachers(146 female, 100 male) of Junior High Schools in Munich/Germany and in Seoul/South-Korea rated students’ problem behavior on 106 items. In a first step, the results show that the German teachers’ ratings are very similar as well as the ratings of the Korean teachers. In contrast, the similarity between the two cultural groups is smaller. Ina second step, a discriminant analysis identifies those behaviors which differentiate between the two groups of teachers. These behaviors create the image of a“punker” with bright colored hairs and showly dressed, visiting a discotheque. A German teacher will not see any educational problem there, while his Korean colleague probably will do so. This effect of different cultural norms and values is discussed on the base of Confuzian philosophy which still dominates the Korean society.
Die Sichtweise von Lehrern oder Lehrerinnen über das, was“erziehungsschwierig” ist, spielt für einen Schüler oder eine Schülerin nicht erst bei einem möglichen Antrag auf Umschulung in die Schule für Erziehungshilfe eine bedeutende Rolle. Vielmehr wird sie bereits die alltäglichen Interaktionen zwischen Lehrer und Schüler im Erziehungs- und Unterrichtsgeschehen entscheidend beeinflussen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die
* Frau Yeong Ryool Ahn sei an dieser Stelle für die Übersetzung des Fragebogens ins Koreanische und für die Datenerhebung gedankt.
empirische Forschung über Lehrerurteile erziehungsschwierigen Verhaltens eine lange Tradition besitzt. Seit der Studie von Wickmann(1928, zit. nach Beilin 1959), in der Lehrer und Klinische Psychologen zur Problemhaftigkeit einzelner Verhaltensmerkmale von Schülern befragt wurden, konnte ein Ergebnis stets wiedergefunden werden: Lehrer halten in der Regel aggressives, nach außen hin agierendes Verhalten für wesentlich problematischer als regressives, nach innen gerichtetes(vgl. Beilin 1959; Peterson 1961; Merrett& Wheldall 1984). Dies kann als spezifische Lehrerperspektive
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992
bezeichnet werden, weil beispielsweise Eltern und/oder Klinische Psychologen (bzw. Kinderpsychiater) es so nicht sehen(Beilin 1959; Schrupp& Gjerde 1953). Sie tendieren in stärkerem Maße dazu, regressives Verhalten ebenfalls als erziehungsschwierig einzustufen. Diese Lehrerperspektive ließ sich nicht nur in amerikanischen, sondern auch in deutschen Untersuchungen(vgl. Tiedemann 1980, S. 13-15) nachweisen. Sie findet sich in den Grundschulen der Insel Malta (Borg& Falzon 1989) ebenso wie in den Schulen Hong Kongs(Luk, Leung& Lee 1988) oder Thailands(Weiszet al. 1988).
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