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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Hans-Peter Langfeldt+ Kulturelle Unterschiede bei der Beurteilung von erziehungsschwierigem Verhalten

Der KontextSchule und Unterricht scheint demnach die Sichtweise von Leh­rern und Lehrerinnen in eindeutiger Wei­se zu determinieren. Direkte interkultu­relle Vergleiche zeigen, daß bei vergleich­barer Lehrerperspektive dennoch kultu­relle Unterschiede auftauchen. Thailän­dische Lehrer beispielsweise stehen erzie­hungsschwierigem Verhalten insgesamt toleranter gegenüber als amerikanische (Weiszetal. 1988). Lehrer inhebräischen Schulen sind einerseits aggressivem Ver­halten gegenüber nachsichtiger und an­dererseits regressivem Verhalten gegen­über sensibler als amerikanische Lehrer (Benyamini 1986). Kulturelle Unterschie­de zeigen sich auch, wenn außer diesen beiden Verhaltensweisen noch weitere Verhaltensbereiche betrachtet werden. Ineiner eigenen Untersuchung(Langfeldt 1992) wurden Verhaltensweisen aus drei Verhaltensbereichen betrachtet: Aggres­sives, regressives und non-konformisti­sches Verhalten. Deutsche und koreani­sche Hauptschullehrer hatten die einzel­nen Verhaltensweisen auf einer fünfstu­figen Skala einzuschätzen, die von0= völlig unproblematisch bis4= äußerst problematisch reichte. Abbildung 1 ent­hält die durchschnittlichen Lehrerein­schätzungen für die genannten Verhal­tensbereiche. Deutsche und koreanische Lehrkräfte schätzen demnach aggressives Verhal­ten als äußerst bzw. sehr problematisch ein, während das regressive Verhalten beidesmal als eher unproblematisch ein­geschätzt wird. Auch hier findet sich also die beschriebene Lehrerperspektive wie­der, wobei koreanische Lehrkräfte ge­genüber aggressivem Verhalten toleran­ter sind als deutsche. Interessant ist je­doch der Bereich der non-konformisti­schen Verhaltensweisen. Deutsche se­hen dabei keine Probleme, während koreanische Lehrkräfte sie als problema­tisch ansehen. Sie halten sie sogar für problematischer als regressive Verhal­tensäußerungen. Hier zeigt sich ein signi­fikanter kultureller Unterschied, der im vorliegenden Bericht genauer beschrie­ben werden soll. Dazu soll in zwei Schritten, (1) eine globale Aussage über das Aus­maß der Übereinstimmung der Leh­

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Grad der Erziehungsschwierigkeit N

aggressiv

EM deutsche Lehrer

regressiv non-konformist. Verhaltensbereiche

OD koreanische Lehrer

Abb. 1: Lehrereinschätzungen(Langfeldt 1992)

rerurteile innerhalb und zwischen den Kulturen getroffen werden und dann anschließend,

(2) diejenigen Verhaltensweisen be­schrieben werden, bei denen die Leh­rerurteile kulturspezifisch geprägt sind.

Methode Datenmaterial

Das Material, das im Rahmen dieser Analyse verwendet wird, ist mit dem der zitierten eigenen Studie(Langfeldt 1992) identisch. Die Untersuchung wurde als schriftliche Befragung durchgeführt, in der Lehrer und Lehrerinnen 106 Items mit potentiell problematischen Verhal­tensweisen zu beantworten hatten. Die Items decken fünf übliche deskriptive Kategorien ab(siehe z.B. Coleman& Gilliam 1983; Graefe 1956; Havers 1981):

Arbeitsverhalten,

Interaktion mit Lehrem oder Eltern,

schulische Disziplin,

Sexualverhalten und

non-konformistisches Verhalten und äußere Erscheinung.

Jedes Item existiert in einer weiblichen und männlichen Version; z.B.:Der Schü­ler zerstört schulische Einrichtungen. bzw.Die Schülerin zerstört schulische Einrichtungen. Die Lehrerinnen oder Lehrer hatten also das Verhalten eines Schülers oder einer Schülerin zu beurtei­len. Dabei sollten sie angeben, wie sie

persönlich das genannte Verhalten ein­schätzen: 0= völlig unproblematisch, 1= etwas problematisch, 2= problematisch, 3= sehr problematisch und 4= äußerst problematisch.

Stichproben

Befragt wurden insgesamt 246 Lehrkräfte (je 73 Lehrerinnen und 50 Lehrer) aus Hauptschulen in München bzw. ver­gleichbaren Schulen in Seoul/Süd-Korea.

Statistische Verfahren

Die Übereinstimmung der Lehrerurteile innerhalb und zwischen den Kulturen wird durch Korrelationskoeffizienten be­schrieben. In einer Diskriminanzanalyse (Bortz 1985) wird das Gewicht derjeni­gen Items ermittelt, die zu einer maxima­len Trennung der Urteile aus beiden Kul­turen führen. Damit sollen diejenigen Verhaltensweisen von Schülern und Schülerinnen identifiziert werden, bei denen ein maximaler Urteilsunterschied zwischen deutschen und koreanischen Lehrkräften vorliegt.

Ergebnisse

Ausmaß der Urteilsübereinstimmung

Zunächst wurde für jedes Item in jeder der 2 x 2 x 2= 8 Untergruppen(Kultur­zugehörigkeit x Geschlecht des Lehrers

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992

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