Hans-Peter Langfeldt+ Kulturelle Unterschiede bei der Beurteilung von erziehungsschwierigem Verhalten
stisch und zu unmoralisch( Y.H. Kim 1986, S. 185).
Die Verteilung der Faktorwerte in der Abbildung 2 zeigt, daß koreanische Lehrkräfte in der Einschätzung des beschriebenen non-konformistischen Verhaltens eine heterogene Gruppe darstellen. Aufgrund ihrer Faktorwerte könnten 19 von ihnen ebensogut den deutschen Lehrkräften zugeordnet werden. Diese Überschneidung läßt, ebenso wie die deutlich höheren Standardabweichungen bei den einzelnen Items, vermuten, daß es unter koreanischen Lehrkräften offensichtlich auch solche gibt, die den traditionellen Werten ihrer Kultur weniger nahestehen und“westliche” Werte übernehmen. Dies
könnte auch erklären, warum die Übereinstimmung zwischen den koreanischen Lehrkräften geringer ist als zwischen den deutschen. Deutsche Lehrer und Lehrerinnen sind einem Wertsystem verpflichtet, dem“westlichen”. Koreanische Lehrkräfte dagegen können sich an zweien orientieren, dem“konfuzianischen” oder dem“westlichen”.
Der“Etikettierungsansatz” zur Erklärung von auffälligem Verhalten postuliert, daß es sich im wesentlichen erst über Zuschreibungsprozesse manifestiert. Unterschiedliche Gruppen(Kulturen, Subkulturen, usw.) entwickeln unterschiedliche Normen und Werte, was dazu führen kann, daß ein und dasselbe Verhalten, je
nach Kontext, einmal als normabweichend und einmal als normangemessen interpretiert wird(stellvertretend für eine Vielzahl entsprechender Diskussionsbeiträge: Ulich, 1980). Die hier vorgestellten Ergebnisse sind ein Beispiel für solche Prozesse. Aus der Sicht einer deutschen Lehrkraft mag es befremdlich erscheinen, daß non-konformistisches Verhalten als Problemverhalten gesehen wird, während die Mehrheit der koreanischen Kollegen und Kolleginnen es wahrscheinlich bedenklich finden wird, daß dieses Verhalten in Deutschland als unproblematisch gilt.
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Autorenanschrift:
Prof. Dr. Hans-Peter Langfeldt
Institut für Pädagogigsche Psychologie Johann Wolfgang Goethe-Universität Senckenberganlage 15
D-6000 Frankfurt am Main
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIIL Heft 3, 1992
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