korrektiv, kompensatorisch und reedukativ(d.h. Aktivierung von Restfunktionen oder mangelhaft genutzter Funktionspotentiale) eine Funktionssteigerung, stimulierung,-ertüchtigung und-korrektur zu bewirken.
Letztlich geht es darum, Aspekte zur Frühförderung darzustellen, denen ein Menschenbild zugrundeliegt, das sich weitgehend nicht an der auch heute noch verbreiteten defizitären Sichtweise des behinderten Menschen orientiert, sSondern vielmehr den Behinderten in seiner Gesamtentwicklung einschließlich seiner Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt.
Definitorische Abgrenzungen Definition: Geistige Behinderung
Behinderung ist ein relationaler Begriff, u.a. abhängig von den jeweiligen Normen einer Gesellschaft, die entsprechend den zeitlich und örtlich sich wandelnden Beurteilungskriterien differieren. Dabei ist zu bedenken, daß Behinderung, somit auch geistige Behinderung, ein hypothetisches Konstrukt, d.h. eine Variable ist, die nicht direkt erfaßbar ist, vielmehr eine Abstraktion aus bestimmten Erlebens- und Verhaltensäußerungen darstellt. Dennoch kann derartigen heuristischen Modellen, d.h. Modellen, die zum besseren Verständnis von Sachverhalten bzw. zum Auffinden neuer Sachverhalte dienen, eine ausreichende empirische Evidenz zugesprochen werden. Im Hinblick auf geistige Behinderung ist vereinheitlichend als Primärkategorie eine erhebliche Einschränkung der Bildungsfähigkeit zu sehen, wobei die Grenze zur Lernbehinderung fließendist. So sieht Bach(1974, 9 f.) in dem Mangel an Intelligenz(IQ< 60) das Leitkriterium geistiger Behinderung und weist auf die in je individuell unterschiedlichem Ausmaß vorhandenen Beeinträchtigungen hin, wie sie sich z.B. im Bereich der Psychodynamik, Sprache, Motorik, Sensorik, des motorisch-taktilen Erfassens und des Sozialkontakts ergeben können; d.h., wir können in den meisten Fällen
Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung
von Mehrfachbeeinträchtigungen bzw. -behinderungen sprechen.
Das bisher Gesagte weist darauf hin, daß geistige Behinderung nicht als isolierter Defekt zu sehen ist, sondern stets— und dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung für die Frühförderung— eine Beeinträchtigung der Gesamtpersönlichkeit darstellt.
Ein in Zusammenhang mit geistiger Behinderung auftretender häufiger Erziehungsmangel(aufgrund der Resignation der Eltern; Bach 1974, 10; ders. 1979, 197) bzw. Erziehungsfehler(z.B. aus Schuldgefühlen gegenüber dem behinderten Kind, aus Mitleid, Ängsten) kann dieses Spektrum an Auffälligkeiten noch erweitern bis hin zu“ausgewachsenen” neurotischen Deformationen.
Nach Bach(1974, 9) gilt derjenige als geistigbehindert, der aufgrund von gravierenden Beeinträchtigungen der Intelligenzfunktionen in seinem Lernverhalten als auch in seiner seelisch-geistigen Gesamtentwicklung wesentlich im Verhältnis zu Gleichaltrigen zurückbleibt. Das Lern- und Denkverhalten(Aufnehmen, Verarbeiten, Speichern von Informationen) bleibt i.d.R. vorwiegend im Bereich der Anschauung verhaftet. Für Bach(1979, 198 f.) sind neben den Beeinträchtigungen des Lernverhaltens motorische Insuffizienzen, Funktionsstörungen und erschwerende soziale Gegebenheiten besonders zu nennen.
Ramey und Bryant(1986, 467) betonen zwei gleichrangig zu sehende Charakteristika geistiger Behinderung: Neben den signifikanten unterdurchschnittlichen Intelligenzfunktionen und-einbußen weisen sie auf Defizite im Anpassungsund Sozialverhalten hin. Hierbei werden — ebenso wie bei Bach— sowohl das Intelligenz- als auch das adaptive Verhalten als von Umweltfaktoren beeinflußbar gesehen. Als Ursachen gelten in der Regelbiologische Faktoren, wie z.B. hereditäre Faktoren, Infektionskrankheiten oder toxische Umweltfaktoren. Ähnlich äuBert sich Bach(1979, 197), wenn er von einer Komplexität, Mehr- oder Multidimensionalität der Entstehungs- und Verstärkungsbedingungen spricht, d.h., man sollte stets von einem Syndromcharakter der geistigen Behinderung ausgehen.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIIL Heft 3, 1992
Bezogen auf die schulpflichtige Bevölkerung sind in Westdeutschland konstant ca. 0,5-0,6% geistigbehindert; bei einer IQ-Grenze< 50 gelten 0,4% der Kinder und Jugendlichen als geistig behindert. Hierbei sind Kinder und Jugendliche aus den unteren Sozialschichten überrepräsentiert.
Auf den verschiedenen Lebensaltersstufen variiert der Anteil von Menschen mit geistiger Behinderung, was sich allein schon durch die Zunahme des Anteils älterer Menschen erklärt.
Frühförderung
Geht man vom Begriff aus, so bedeutet Frühförderung ganz banal: frühes Fördern. Damit ist jedoch wenig erklärt: Was ist früh? Was bedeutet Fördern? Früh bedeutet in diesem Zusammenhang, so früh wie möglich und das heißt nach Möglichkeit schon intrauterin. Dabei kann man die pränatale Diagnostik immer stärker vorverlegen:“Es droht die gezielte Suche nach Risikofaktoren in der Genstruktur der potentiellen Eltern selbst.”(Weiss 1992, 7).
Der Begriff“Fördern” kann wie folgt umrissen werden: Eltern fördern ihr Kind, indem sie es in die Gesellschaft einführen, mit den Regeln des effektiven Zusammenlebens vertraut machen, helfen, vorhandene Fähigkeiten zu Fertigkeiten zu entwickeln, indem sie ihr Kind erziehen, beschützen, fördern. Nach Heese (1978, 4; auch Müller 1981; Eberwein 1980, 3; Bach 1974, 7 f.) ist Frühförderung ein Sammelbegriff, der mehrere unterschiedliche sich wechselseitig bedingende Tätigkeitsbereiche bzw. Aufgaben einschließt.Dazu sind zu rechnen: Früherkennung und-diagnostik, Früherfassung, Früherziehung, Frühtherapie bzw. Frühbehandlung und Frühberatung.
Früherkennung, Frühdiagnostik: Zunächst einmal muß die Behinderung als solche erkannt sein, als Funktionsanomalie, Schädigung, entwicklungsdeprivierende Aufwuchssituation. Dabei sind Früherkennung und Frühdiagnose kein einmaliges Geschehen. Behinderung ist nichts Statisches; somit muß es sich bei
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