Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung
hinderung bezogene Förderung gemeint. Ziel ist die Vermeidung der aus der Behinderungsursache möglicherweise sich ergebenden psychosozialen Entwicklungsdeviationen auf unterschiedlichen Gebieten, wie z.B. Motorik, Wahrnehmung, Emotionalität, Sprache, Sozialverhalten.
Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß die normale Entwicklung durch die spezielle Förderung soweit wie möglich unbeeinflußt bleibt. Das Kind muß ein Recht haben, sich entsprechend seiner Eigendynamik entwickeln zu dürfen.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß bei den sogenannten Klassikern der Pädagogik die Grundelemente der heutigen Früherziehung gelegt wurden. Verwiesen sei auf Comenius, J.J. Rousseau, J.H. Pestalozzi, F.W.A. Fröbel und nicht zuletzt M. Montessori. Selbst die heute immer noch weit verbreiteten und teilweise heftig kontrovers diskutierten Polaritäten, die Theodor Litt 1927 auf die einfache Formel brachte. “Führen oder wachsen lassen?” zeichneten sich bereits in den Anfängen ab. Heute spricht man stattdessen von einer sytematischen im Gegensatz zu einer systemischen, von einer ökonomischen im Vergleich zu einer ökologischen Betrachtungsweise.
Dieeigentliche Früherziehungsbewegung setzte in den 50er/60er Jahren ein.
Die Geistigbehinderten wurden etwas später(vermehrt in den 70er Jahren) von diesen Maßnahmen erfaßt, da es nach Gründung der Lebenshilfe 1958 erst einmal galt, auf die Existenz Geistigbehinderter, ihr Lebensrecht aufmerksam zu machen, Vorurteile abzubauen(Eberwein 1980, 2).
Ausgehend von den Ergebnissen der Intelligenz- und Begabungsforschung, von psychoanalytischen, verhaltensbiologischen und neurophysiologischen Untersuchungen, verbunden mit der Erforschung über die Bedeutung früher Lernprozesse wurde das Augenmerk vermehrt auf die Bedeutung der frühen Lernprozesse bei kognitiv Behinderten gelenkt. Obwohl die Bedeutung der Frühförderung geistigbehinderter Kleinkinder(bis zum Alter von 3 Jahren) teilweise immer
noch umstritten ist, findet sie vermehrt statt(Eberwein 1980, 2 f.).
Frühtherapie: Sie ist häufig nicht von der Früherziehung zu trennen, da pädagogische und therapeutische Maßnahmen ineinander übergehen und auch miteinander verbunden werden müssen. Therapie ist kein homogener Begriff; einheitlich ist das Ziel, nämlich Schäden zu beseitigen bzw. die Schäden oder ihre Folgeerscheinungen zu minimieren. Der Weg zu diesem Ziel ist recht uneinheitlich: Therapie kann aktiv und passiv z.B. durch Medikamente, Skalpell, Bewegung, physiotherapeutische Maßnahmen und das Wort erfolgen(vgl. Heese 1978, 6 f.).
In diesem Zusammenhang sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß Früherziehung und Frühtherapie nicht gleichzusetzen sind mit Separierung, Isolierung, sondern lediglich etwas über den besonderen Förder- und Erziehungsbedarf aussagen.
Frühberatung: Hiermit ist die erziehungsberatende und-fördernde Anleitung der Eltern bzw. Erzieher gemeint (vgl. Heese 1978, 7). Dabei ist wichtig, daß der Berater eine für die Eltern klare und verständliche Sprache spricht und deutliche Angaben über die körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen wie auch die Lernmöglichkeiten des Kindes macht, sofern derartige Aussagen aus dem Erscheinungsbild der Behinderung überhaupt abzuleiten sind.
Für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder besteht ein Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe, der u.a. durch Frühförderstellen abgedeckt wird (Koppold 1991, 59).
Ziele und Aufgaben der Frühförderung
Ziel der Frühförderung ist es nach Heese (1978, 10), dem”behinderten Kleinkind zu einem möglichst wenig durch Behinderung belasteten individualen und sozialen Leben zu verhelfen”. Daneben gibt es je nach Art und Grad der Behinderung, je nach Elternhaus einschließlich sozio
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992
ökonomischem und soziokulturellen Sta
tus der Eltern eine Vielzahl abgeleiteter
Ziele.
Aus den Zielen ergeben sich die Aufga
ben, wie z.B.(s. Heese 1978, 10):
— derzeit nicht zu behebende Schädigungen, Funktionsanomalien und Deprivationszustände zu akzeptieren, ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken.
— Lebenserschwernisse zu minimieren.
— psychosoziale Entwicklungsabweichungen zu verhindern, um einer Behinderung in der Erziehung und Bildung soweit wie möglich entgegenzuwirken.
Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß es stets um Hilfen beim Erwerb von Basisfertigkeiten geht.
Eltern haben in der Frühförderung eine Schlüsselfunktion. Um den vielfältigen Aufgaben bei der Frühförderung, mit denen Eltern konfrontiert werden, gerecht werden zu können, ist es ebenfalls eine der Hauptaufgaben der Frühförderung, Aversionen und Ängste in Zusammenhang mit dem behinderten Kind zu überwinden, zu lernen, das Kind, so wie es ist, zu akzeptieren, d.h., auch seine Behinderung realitätsentsprechend zu bewerten und Vertrauen in den Förderspezialisten aber auch in die eigene Kompetenz zu entwickeln. Da Eltern häufig als Co-Therapeuten in die Behandlung einbezogen werden, ist streng auf die Vermeidung einer“therapeutisierten Kindheit”(Speck 1986, 148) zu achten.
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, daß die Effekte der Frühförderung mit von dem elterlichen Verhalten abhängig sind.
Organisationsformen der Frühförderung
Frühförderung sollte(nach Speck 1987) primär durch ambulant als auch mobil angebotene Frühfördereinrichtungen erfolgen und einer Mischfinanzierung unterliegen. In der Regel handelt es sich um stationäre Einrichtungen, bevorzugt in Zentren von größeren Städten gelegen,
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