Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung
in denen die Kinder ambulant behandelt werden.
Bezüglich der Behinderungsarten, die in den Frühfördereinrichtungen aufgenommen werden, ist zu sagen, daß am häufigsten mehrfach- und schwerstbehindere, körperbehinderte, entwicklungsgestörte und verhaltensgestörte Kinder behandelt werden, wobei die Arbeit in diesen Einrichtungen nicht nach Behinderungsarten erfolgt.
In den Jahren 1978/79 gab es einen deutlichen Anstieg bei der Einrichtung von Frühförderstellen(Gawlik 1991, 128). In den meisten Frühförderstellen werden die Kinder sowohl ambulant als auch vermittels Hausbesuchen(“mobile” Betreuung) behandelt. Dabei müssen die Eltern i.d.R. mangels vorhandener Fahrdienste die Kinder zur Frühförderstelle bringen.
Eberwein(1980, 6) betont die Vorteile der eigentlichen Hausfrüherziehung gegenüber der ambulant durchgeführten Förderung, die u.a. darin liegen, daß relativ viele Kinder betreut werden können, auch sozio-kulturell deprivierte, deren Eltern eigeninitiativ keine Frühfördereinrichtung besuchen würden. Auch die Frühförderung behindernde oder verhindernde Probleme können vor Ort erfaßt und schneller und effektiver behoben werden. Wichtig ist u.U. ebenfalls, daß die Förderung in der vertrauten häuslichen Umgebung erfolgt.
Auf die Probleme bei der Hausfrüherziehung wird im folgenden Kapitel eingegangen.
Dabei behandeln z.B. in Nordrhein-Westfalen ca. 90% der Frühfördereinrichtungen die behinderten Kinder einmal pro Woche. Zusätzlich angebotene ambulante Dienste sind i.d.R. Krankengymnastik, Logopädie. Selten angeboten werden familienentlastende Dienste, Elternstammtische, Babysitting(Gawlik 1991, 129). Die durchschnittliche Kinderzahl pro Fördereinrichtung varriiert zwischen ca. 40 und 110 Kindern, wobei die meisten Fördereinrichtungen in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf vorzufinden sind(a.a.O., 124). Frühfördereinrichtungen arbeiten interdisziplinär, beteiligt sind u.a.: Therapeuten, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen,
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Heil- und Sonderpädagogen. Etwa 10% der in Frühfördereinrichtungen Beschäftigten besteht aus ungelernten Mitarbeitern, z.B. Zivildienstleistenden, Praktikanten; 43% der Belegschaft besteht im Durchschnitt aus Teilzeitkräften.
Nach Gawlik(1991, 130) werden die Kinder prinzipiell nach der Geburt aufgenommen, jedoch bei 41% der Frühförderstellen kommen die Kinder erst ab einem Alter von einem Jahr. Frühförderung macht sich unter günstigen Umständen selbst überflüssig; das gilt i1.d.R. für Lern-, weniger gravierende Sprach- und Verhaltensstörungen. Bei körper-, sprach-, sinnes- und geistigbehinderten Kindern endet die Frühförderung, wenn die betreffenden Kinder in eine sonderpädagogische Institution(Sonderkindergarten, Sonderklasse 0.-schule bzw. betreffende integrative Maßnahme) aufgenommen werden(Heese 1978, 24).
Probleme und Grenzen im Rahmen der Frühförderung
Aus der Vielzahl möglicher und teilweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretender Probleme bei der Frühförderung sei exemplarisch auf einige hingewiesen.
Probleme und Grenzen im Rahmen der Familie
Die Behinderung eines Kindes bedeutet einen dramatischen Einbruch in die Lebensperspektiven der Eltern und bedroht das emotionale Gleichgewicht der Familie.
Das behinderte Kind wird innerhalb der Familie häufig als ein besonderer Stressor erlebt, was nicht selten zur Destabilisierung der gesamten Familie führt, da die Familie der“fast ausschließliche Lebensraum des Kindes” bis zum Alter von 3 bis 4 Jahren ist(Thurmair 1990, 49 f.).
So weisen Familien mit einem behinderten Kind in vielen Dimensionen der familiären Interaktion erhebliche Probleme auf, so daß häufig in vieler Hinsicht dysfunktionale Beziehungsmuster fest
zustellen sind(Thurmair 1990, 49 ff.), z.B. in Form von Überbehütung, Permissivität, Direktivismus oder Überforderung dem behinderten Kind gegenüber. Dieses Bild des Stressors hat durchaus eine reale Dimension, da für die Betreuung und Erziehung eines behinderten Kindes viel Aufwand notwendig ist und von dem Kind häufig wenig Belohnendes zurückkommt. Es hat aber ebenfalls eine emotionale Dimension; damit ist gemeint, daß das Kind in seinem SoSein nicht erwünscht und akzeptiert wird, zumal es für die Familie nicht selten die Ursache für soziale Stigmatisierung und Diskriminierung darstellt. So werden selbst Fortschritte, die das Kind durchaus macht, u.U. nicht gesehen werden. Symptomatiken des depressiven Formenkreises erreichen eine hohe Signifikanz besonders bei Müttern; dennoch sind sie nicht als typisch für Familien mit behinderten Kindern anzusehen(Thurmair 1990, 51 ff.).
Es ist auch durchaus möglich, daß Eltern eine schwankende Einschätzung und Bewertung hinsichtlich der Behinderung zeigen, sodaß Phasen extremen Schwarzsehens, extremer Hoffnungslosigkeit von Phasen abgelöst werden, in denen die Behinderung nicht akzeptiert, stattdessen beschönigt wird.
Ein weiteres Problem liegt in der Rollenzufriedenheit der Mutter, die i.d.R. die Hauptlast bei der Frühförderung trägt. Durch die Frühförderung, wie sie in der Literatur dargestellt wird, wird die Rollenteilung und damit die überkommene Mutterrolle gefestigt. Gefordert wirdeine Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung(Jonas 1990, 226). Elternbefragungen ergaben, daß ein Wohlbefinden der Mutter mit einem Wohlbefinden des Kindes einhergeht (Mattick-Schoel 1989, zit. nach Schlack, a.a.O., 39).
Ein besonderes Problem bei der Hausfrüherziehung ergibt sich schon dadurch, daß die häuslichen Verhältnisse nicht immer eine effektive Förderung zulassen. Hingegen steht bei ambulanter Förderung mehr Personal wie auch adäquates Spielzeug zur Verfügung. Ebenfalls ist zu bedenken, daß ein kostenloses Angebot(wie es die Hausbesuche darstellen)
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992