Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
127
Einzelbild herunterladen

Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung

nicht immer die Akzeptanz eines solchen Angebots fördert. Außerdem ist es mög­lich, daß die Hausfrüherziehung zur Diffamierung und damit zur Isolation der betreffenden Familie führt(vgl. Eberwein 1980, 7).

Nach Speck(1977, 30) vermittelt die Hausfrüherziehung i.d.R.Kinderpfle­getechniken, wie Essen, Anziehen, Krabbeln, Sitzen, Stehen, Gehen, Spre­chen. Wesentlich ist im Zusammenhang mit der Hausfrüherziehung die stets neu zu treffende Abklärung, welcher För­derspezialist vom Förderteam Förderung in ambulanter oder mobiler Form über­nimmt.

Vom 3. Lebensjahr an soll diese Form der Frühförderung durch Gruppenförderung in Form von Spiel- und Wechselgruppen ergänzt werden(Eberwein 1980, 7 f.).

Probleme und Grenzen

in Zusammenhang mit dem Selbstverständnis und dem förderspezifischen Verhalten der Fachleute

Selbst für das Selbst- und Rollenver­ständnis der Fachleute, besonders der Mediziner, deren Ziel das Heilen ist, bedeutet Behinderung eine Bedrohung. Aus dem Verständnis der kurativen(hei­lenden) Medizin ergibt sich ein weiteres Problem: Behinderung wird als Krank­heit verstanden, d.h., es erfolgt zunächst eine möglichst differenzierte funktionelle Diagnose, woraus sich eine funktionelle Übungsbehandlung, auchLernthera­pie genannt, ergibt, mit den entsprechen­den Erfolgserwartungen analog der klas­sischen kurativen Medizin. Man glaubte somit, die Anwendung der richtigen Me­thode mit der notwendigen Intensität führe zur Vermeidung bzw. Heilung von Be­hinderung.

Für dieseüberzogen euphorische, un­kritisch optimistische Einstellung gibt es keine wirklich befriedigende Therapie­evaluation(Schlack 1991, 37).

Zu bedenken sind ebenfalls die Auswir­kungen der Einstellung des Arztes auf die Eltern, seien sie nun unkritisch-opti­mistisch oder eher skeptisch-nihilistisch.

In beiden Fällen erweist sich der Fach­mann als inkompetent, nicht oder wenig interessiert und unsensibel, was die Äng­ste und Gefühle elementarer Bedrohung seitens der Eltern angeht.

Für die Fortschritte des Kindes sind die förderungsspezifischen Interventions­strategien nicht das Entscheidende. So können für die häufig auftretenden Ver­haltensstörungen behinderter Kinder nicht so sehr die spezifischen Förder­maßnahmen im Verlauf einer Frühbe­handlung verantwortlich gemacht wer­den, sondern vielmehr diedamit ver­bundenen Veränderungen der mütterli­chen Grundhaltung...(Schlack 1991, 39).

Derartige Wirkmechanismen werden i1.d.R. von den fördernden Personen nicht reflektiert.

Es besteht die dringende Notwendigkeit, Frühförderung interdisziplinär durchzu­führen, da die notwendigen vielfältigen und vielschichtigen Kompetenzen nicht in einer Person konzentriert sein können. Das sich somit ergebende interdiszipli­näre Arbeiten, bezogen auf unterschied­liche Personen mit unterschiedlichen Aufgaben, kann dennoch seitens der ein­zelnen Spezialisten zu einer isolierten Betrachtung und gewollter Kompetenz­abgrenzung und Partikularisierung be­stimmter Bereiche führen unter Vernach­lässigung anderer, nicht weniger bedeu­tender Dimensionen(vgl. Eberwein 1980).

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Frühförderung erfährt noch zusätz­lich durch die unterschiedlichen wissen­schaftstheoretischen Hintergründe der Fachleute eine Erschwerung(Neuhäuser 1985, zit. nach Gawlik 1991, 122), abge­sehen von persönlichen Profilierungs­tendenzen einzelner Förderspezialisten, die die notwendige Kooperation erheb­lich erschweren können. Fachwissen­schaftliche Kompetenz kann aber auch zurBetriebsblindheit führen, so daß das Ausmaß der Beeinträchtigungen nicht entsprechend gesehen und bewertet wird, was die Kommunikation mit Fachkolle­gen anderer Disziplinen aber auch mit den Eltern erheblich erschweren kann. Auch ist zu bedenken, daß sogenannte Förderspezialisten durch ihre häufig

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII Heft 3, 1992

schwerwiegenden Interventionen dazu beitragen, das emotionale Gleichgewicht der Familie unbewußt zu beeinflussen, daß die professionellen Ansätze mani­pulativ familiäre Eigenverantwortlichkeit unterdrücken(vgl. Schlack 1991, 42; siehe auch Gawlik 1991, 123 f.; siehe auch Speck 1986, 145).

Ebenfalls ist es Aufgabe der Förderspe­zialisten, den Eltern alle erforderlichen Informationen zu geben, sie für den adä­quaten Umgang mit dem Kind anzulei­ten, ihnen zu einer realistischen, för­derlichen Erziehungshaltung zu verhel­fen, sie mit den Möglichkeiten, aber auch mit den Schwierigkeiten des Kindes ver­traut zumachen(Eberwein 1980, 7; Speck 1977, 30 f.).

Dabei sind die betreffenden Förder­spezialisten als Fachautorität auf derarti­ge Elterngespräche i.d.R. gar nicht vor­bereitet, was nicht selten Gefühle von Unsicherheit und Angst entstehen läßt, die wiederum nicht die gewünschte posi­tive Einstellung bzgl. der Frühförderung bei den Eltern bewirken. Die Förder­spezialisten wiederum bewerten das el­terliche Verhalten als Gleichgültigkeit, Aggression, Widerstand. Daß derartige Mißverständnisse zu erheblichen Er­schwernissen bei der Elternarbeit führen, häufig die notwendige Vertrauensbasis untergraben, bis zur Therapieresistenz seitens der Eltern führen können, muß nicht besonders betont werden. Wesentlich ist ebenfalls, daß der Früh­förderexperte seine Aufgabe nicht nur darin sieht, Eltern zu beraten und sie im Umgang mit ihrem Kind zu trainieren, evtl. ihnen noch bei Umsetzungspro­blemen mit dem Gelernten in der häusli­chen Umgebung Hilfestellung gibt, viel­mehr sollten seine Aktivitäten in umfas­sendere soziale Dienste eingebettet sein, so daß er gleichzeitig für eine soziale Entlastung der Familie Sorge trägt. Beispiele für mißlungenes Therapeu­tenverhalten sind vielfältig, man denke an einen sensiblen Therapeuten, der sich relativ gut und schnell in die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes einfühlen kann, den Eltern gegenüber sich jedoch besonders unduldsam verhält, versucht, diese zu ändern, und sich darüber hinaus bemüht, sich mit dem Kind gegen die

127