Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung
Eltern zu verbünden, ein Problem, das bevorzugt bei divergenten Therapiezielen auftritt und zu Therapieabbrüchen führen kann.
Vielmehr sollten Eltern und Fachleute gleichberechtigt miteinander arbeiten, d.h. Expertenkenntnisse auf der einen und Wissen und emotionales Verstehen auf der anderen, der Elternseite, sollten sich ergänzen; d.h. aber auch, daß Eltern die Möglichkeit eingeräumt wird, selbstbestimmt von den angebotenen professionellen Dienstleistungen Gebrauch machen zu können(vgl. Weiß 1992, 9) und daß sie nicht das Gefühl haben, den Förderspezialisten ausgeliefert zu sein bis hin zu Vorstellungen, ihr Kind zu dressieren, ihm Gewalt anzutun auf Anraten der Experten.
Derartige Gefühle des Fremdbestimmtseins und Ausgeliefertseins können durchaus zurecht bestehen bei Eltern, die im Übermaß mit therapeutischen Programmen versehen und zu deren Durchführung angehalten werden. Somit muß der Förderspezialist stets darauf achten, mit seinen Förderprogrammen nicht die“normale” Eltern-Kind-Interaktion zu durchkreuzen.
Zu bedenken ist, daß Eltern zuerst Eltern sind und in zweiter Linie erst Co-Therapeuten; auch sollte man den Eltern klarmachen, daß sie durchaus das Recht haben, eigene Wünsche, Bedürfnisse, Interessen zu haben, sich selbst zu verwirklichen, statt nur noch für ihr behindertes Kind zu leben, d.h., sie müssen sich realisieren, durchaus ein Leben in eigener Regie und Kompetenz führen zu dürfen(siehe auch Weiß 1992, 8).
Daß Hilfen stets individuell zugeschnitten sein müssen und daß es somit aufgrund der Vielschichtigkeit der jeweils auftetenden Probleme keine Patentrezepte geben kann, muß nicht besonders betont werden, ebenfalls nicht die Notwendigkeit, neben dem behinderten Kind, seiner Beziehung zu den primären Erziehern und der Familie als Gesamtheit auch die Außenkontakte der Familie zu berücksichtigen(vgl. auch Weiß 1983, 48 f.).
Weiterhin ist zu erwähnen, daß der Staat über die Frühförderstellen die Möglichkeit bekommt, in die Sozialisations- und
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Erziehungsprozesse einzugreifen(Jonas 1990, 222).
Probleme und Grenzen
im Hinblick auf die Gewinnung empirischer Erkenntnisse
im Bereich der Frühförderung
Es ergibt sich die Frage: Was folgt nun auf den Förderoptimismus? Vielleicht ein Frühförderrealismus?
Ein in diesem Zusammenhang sich ergebendes gravierendes Problem ist das der Effektivitätskontrollen. Hiermit ist ein forschungsethisches Problem angesprochen. So ist es ethisch nicht zu verantworten, Kontrollgruppen mit Kindern, die keine spezielle Förderung erhalten, zu bilden. Dennoch gibt es nach Weiß (1992, 3)“wissenschaftlich einigermaßen begründete Hinweise zur Wirksamkeit der Frühförderung”, entstanden aus Einzeluntersuchungen(Kasuistik).
Das Ausmaß der Frühfördermaßnahmen ist nach Weiß wohl eher niedrig anzusetzen: Nach Dunst, Snyder, Mankinen (1989, zit. n. Weiß 1992, 4) können selbst die besser geplanten und durchgeführten Frühförderkonzepte“nur für etwa 10% der Varianz der Messungen von Effekten verantwortlich gemacht werden”.
Aus den zahlreichen Publikationen zur Frühförderung läßt sich zunächst einmal die Schlußfolgerung ziehen, daß früh geförderte Kinder sich besser als ungeförderte entwickeln; über die Effizienz spezieller Therapiemethoden ist allerdings wenig bekannt(vgl. auch Schlack 1991, 38).
Dieser Satz wie auch die bereits aufgewiesenen Probleme im Zusammenhang mit der Frühförderung unterstützen nicht gerade den Förderoptimismus der 60er und frühen 70er Jahre, gibt jedoch auch keinen Anlaß zur Resignation. Ergänzend ist noch anzumerken, daß die nachgewiesenen Fortschritte der Kinder umso geringer sind, je schwerer ihre Beeinträchtigung ist(Dunst, Snyder, Mankinen 1989, 286).
Es ergibt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein derartiges Ergebnis auf die Art des Meßinstrumentes bzw. die Artder statistischen Verarbeitung zurück
geführt werden kann; so daß andere Lernfortschrittsmessungen u.U. zu günstigeren Ergebnissen führen.
So konnte Plaute(1992) bei einer MetaAnalyse von 32 Studien zu den Effekten von Trainingsprogrammen an jugendlichen und erwachsenen Geistig- und Mehrfachbehinderten zum Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten sehr hohe Effektstärken feststellen, die er durch die Art des Untersuchungsdesigns erklärt. Generell muß darauf hingewiesen werden, daß der derzeitige Forschungsstand in Deutschland zu dieser Problematik durchaus beklagenswert ist. Es herrscht ein großer Nachholbedarf, was die Überprüfung von Daten angeht. Dazu gehört nicht zuletzt ebenfalls, daß man die in der vielfältig vorhandenen Literatur vorzufindenden Behauptungen über die Effektivität von Trainingsmaßnahmen daraufhin überprüft, ob sie empirisch gehaltvolle Sätze ohne entsprechende statistische Überprüfung enthalten(vgl. hierzu auch Anstötz 1987, 55 ff.).
Probleme und Grenzen
im Hinblick auf die Angemessenheit und Effektivität der durchgeführten Maßnahmen
Bedenkt man, daß es bei den unterschiedlichen Frühförderungen häufig zu einer Überforderung, d.h. einem Übergewichtigwerden professioneller Maßnahmen gegenüber kindlicher Spontaneität und Eigenaktivität kommt, daß Kinder nicht mehr frei spielen dürfen, sondern bespielt werden, nicht mit Eltern gearbeitet wird, sondern diese be-arbeitet werden (Speck 1986, 145 f.), so wird deutlich, daß ein Umdenken notwendig ist, wobei eine Umorientierung zu erfolgen hat von einer defizitorientierten Betrachtungsweise im Vergleich zu“normalen” Kindern in Richtung der Berücksichtigung subjektiver Bedürfnisse des Kindes und seiner Eltern unter besonderer Betonung der Kompetenzen des behinderten Kindes bei einer realistischen Einschätzung der Erfolgserwartung. Schlack(1989, 13 f.) spricht in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel, weg von streng naturwissenschaftlichem Denken
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992