Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
128
Einzelbild herunterladen

Knut Dönhoff- Frühförderung und geistige Behinderung

Eltern zu verbünden, ein Problem, das bevorzugt bei divergenten Therapiezielen auftritt und zu Therapieabbrüchen füh­ren kann.

Vielmehr sollten Eltern und Fachleute gleichberechtigt miteinander arbeiten, d.h. Expertenkenntnisse auf der einen und Wissen und emotionales Verstehen auf der anderen, der Elternseite, sollten sich ergänzen; d.h. aber auch, daß Eltern die Möglichkeit eingeräumt wird, selbst­bestimmt von den angebotenen profes­sionellen Dienstleistungen Gebrauch machen zu können(vgl. Weiß 1992, 9) und daß sie nicht das Gefühl haben, den Förderspezialisten ausgeliefert zu sein bis hin zu Vorstellungen, ihr Kind zu dressieren, ihm Gewalt anzutun auf An­raten der Experten.

Derartige Gefühle des Fremdbestimmt­seins und Ausgeliefertseins können durch­aus zurecht bestehen bei Eltern, die im Übermaß mit therapeutischen Program­men versehen und zu deren Durchfüh­rung angehalten werden. Somit muß der Förderspezialist stets darauf achten, mit seinen Förderprogrammen nicht dienor­male Eltern-Kind-Interaktion zu durch­kreuzen.

Zu bedenken ist, daß Eltern zuerst Eltern sind und in zweiter Linie erst Co-Thera­peuten; auch sollte man den Eltern klar­machen, daß sie durchaus das Recht ha­ben, eigene Wünsche, Bedürfnisse, In­teressen zu haben, sich selbst zu verwirk­lichen, statt nur noch für ihr behindertes Kind zu leben, d.h., sie müssen sich realisieren, durchaus ein Leben in eige­ner Regie und Kompetenz führen zu dür­fen(siehe auch Weiß 1992, 8).

Daß Hilfen stets individuell zugeschnit­ten sein müssen und daß es somit auf­grund der Vielschichtigkeit der jeweils auftetenden Probleme keine Patentre­zepte geben kann, muß nicht besonders betont werden, ebenfalls nicht die Not­wendigkeit, neben dem behinderten Kind, seiner Beziehung zu den primären Er­ziehern und der Familie als Gesamtheit auch die Außenkontakte der Familie zu berücksichtigen(vgl. auch Weiß 1983, 48 f.).

Weiterhin ist zu erwähnen, daß der Staat über die Frühförderstellen die Möglich­keit bekommt, in die Sozialisations- und

128

Erziehungsprozesse einzugreifen(Jonas 1990, 222).

Probleme und Grenzen

im Hinblick auf die Gewinnung empirischer Erkenntnisse

im Bereich der Frühförderung

Es ergibt sich die Frage: Was folgt nun auf den Förderoptimismus? Vielleicht ein Frühförderrealismus?

Ein in diesem Zusammenhang sich erge­bendes gravierendes Problem ist das der Effektivitätskontrollen. Hiermit ist ein forschungsethisches Problem angespro­chen. So ist es ethisch nicht zu verant­worten, Kontrollgruppen mit Kindern, die keine spezielle Förderung erhalten, zu bilden. Dennoch gibt es nach Weiß (1992, 3)wissenschaftlich einigerma­ßen begründete Hinweise zur Wirksam­keit der Frühförderung, entstanden aus Einzeluntersuchungen(Kasuistik).

Das Ausmaß der Frühfördermaßnahmen ist nach Weiß wohl eher niedrig anzuset­zen: Nach Dunst, Snyder, Mankinen (1989, zit. n. Weiß 1992, 4) können selbst die besser geplanten und durchgeführten Frühförderkonzeptenur für etwa 10% der Varianz der Messungen von Effekten verantwortlich gemacht werden.

Aus den zahlreichen Publikationen zur Frühförderung läßt sich zunächst einmal die Schlußfolgerung ziehen, daß früh geförderte Kinder sich besser als un­geförderte entwickeln; über die Effizi­enz spezieller Therapiemethoden ist al­lerdings wenig bekannt(vgl. auch Schlack 1991, 38).

Dieser Satz wie auch die bereits aufge­wiesenen Probleme im Zusammenhang mit der Frühförderung unterstützen nicht gerade den Förderoptimismus der 60er und frühen 70er Jahre, gibt jedoch auch keinen Anlaß zur Resignation. Ergänzend ist noch anzumerken, daß die nachgewiesenen Fortschritte der Kinder umso geringer sind, je schwerer ihre Be­einträchtigung ist(Dunst, Snyder, Man­kinen 1989, 286).

Es ergibt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein derartiges Ergebnis auf die Art des Meßinstrumentes bzw. die Artder statistischen Verarbeitung zurück­

geführt werden kann; so daß andere Lern­fortschrittsmessungen u.U. zu günstige­ren Ergebnissen führen.

So konnte Plaute(1992) bei einer Meta­Analyse von 32 Studien zu den Effekten von Trainingsprogrammen an jugend­lichen und erwachsenen Geistig- und Mehrfachbehinderten zum Erwerb le­benspraktischer Fertigkeiten sehr hohe Effektstärken feststellen, die er durch die Art des Untersuchungsdesigns erklärt. Generell muß darauf hingewiesen wer­den, daß der derzeitige Forschungsstand in Deutschland zu dieser Problematik durchaus beklagenswert ist. Es herrscht ein großer Nachholbedarf, was die Über­prüfung von Daten angeht. Dazu gehört nicht zuletzt ebenfalls, daß man die in der vielfältig vorhandenen Literatur vorzu­findenden Behauptungen über die Effek­tivität von Trainingsmaßnahmen darauf­hin überprüft, ob sie empirisch gehalt­volle Sätze ohne entsprechende statisti­sche Überprüfung enthalten(vgl. hierzu auch Anstötz 1987, 55 ff.).

Probleme und Grenzen

im Hinblick auf die Angemessenheit und Effektivität der durchgeführten Maßnahmen

Bedenkt man, daß es bei den unterschied­lichen Frühförderungen häufig zu einer Überforderung, d.h. einem Übergewich­tigwerden professioneller Maßnahmen gegenüber kindlicher Spontaneität und Eigenaktivität kommt, daß Kinder nicht mehr frei spielen dürfen, sondern be­spielt werden, nicht mit Eltern gearbeitet wird, sondern diese be-arbeitet werden (Speck 1986, 145 f.), so wird deutlich, daß ein Umdenken notwendig ist, wobei eine Umorientierung zu erfolgen hat von einer defizitorientierten Betrachtungs­weise im Vergleich zunormalen Kin­dern in Richtung der Berücksichtigung subjektiver Bedürfnisse des Kindes und seiner Eltern unter besonderer Betonung der Kompetenzen des behinderten Kin­des bei einer realistischen Einschätzung der Erfolgserwartung. Schlack(1989, 13 f.) spricht in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel, weg von streng naturwissenschaftlichem Denken

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1992