Paul Heeg* Beziehung von akustischem und visuellem Kanal bei stark schwerhörigen Kindern
gebärdet und gesprochen 31% teilweise gebärdet 34% teilweise gesprochen 17% teilw. gebärdet und
teilw. gesprochen 21% lautsprachliche Hinweise 6% Rest 1%
Abb. 1: Verteilung der gemischten Äußerungen
Gleiche Bedeutung
Äußerungssegmente dieser Gruppe(245) sind sowohl auf der Ebene des visuellen als auch des akustischen Kanals voll verständlich.
Dabei finden sich auffallend viele Einheiten aus einem Lexem. Akustische Signale der Zustimmung, Ablehnung oder des Verstehens werden mit Nicken oder Kopfschütteln begleitet. Derartige ÄuBerungen auf dem visuellen Kanal sind integrale Bestandteile von Lautsprache. Bei“und wehe” SCHIMPFEN,“Anruf” TELEPHON,“hält” BREMST findet sich eine ungewöhnliche Kombination von Wort und Gebärde. Unklar bleibt in diesen Fällen, inwieweit die jeweilige Gebärde mit mehreren Worten kombiniert werden kann, oder ob die Gebärde eine zusätzliche verwandte Bedeutung transportiert(etwa: Er hält, nachdem er gebremst hat.).
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Gesprochenes wird teilweise gebärdet
In dieser mit 274 Kodierungen größten Gruppe werden alle Worte gesprochen, aber nur einige gebärdet. Dabei gibt es einen fließenden Übergang zur Gestik Normalhörender.
Es besteht eine Tendenz, Schlüsselworte auch zu gebärden(51).(Z.B.“Ich bin auch FERTIG”).
Verneinung und Bekräftigung mit“JA”, “NEIN” ‚“NICHT”,“KEIN” werden visuell und akustisch mitgeteilt, während der restliche Satz nur gesprochen wird. Es ist nicht zu entscheiden, ob die visuellen Zeichen zur nonverbalen Gestik der Lautsprache gehören oder Gebärdenzeichen darstellen.“NEIN” besitzt neben der Verneinung auch die Funktion des Verbietens und wird in diesem Sinne auch des öfteren von der Lehrerin benutzt. In einigen Gegenbeispielen wie z.B.“nein WARTE” ‚ implizieren die Gebärden schon eine Zurückweisung einer vorausgehenden Handlung oder Äußerung.
Syntaktische Zusammenhänge wie Gegensätze(“aber”) oder“wenn... dann” Konstruktionen werden zumeist nur lautsprachlich realisiert(z.B.:“So wenn WARM ist dann AUF dann”). Ein Zeichen für UND ist in der Gebärdensprache syntaktisch nicht erforderlich(z.B.: “OBEN WASCHEN und SCHLAFEN”). Umgekehrt werden Tempusmorpheme der Gebärdensprache auch visualisiert: Vergangenheit:“FRÜHER”; Zukunft: “SPÄTER”) oder Abfolgen:“NÄCHSTE”,“NOCHMAL”. Frageworte werden gebärdet:“WO”,“WAS”,“WANN” und“WELCHER”; die Gebärden dieser W-Fragen sind nach meiner Beobachtung kaum differenziert; als besonderes Fragewort fungiert“WEISST-DU”.
Zur Kontaktaufnahme wird der Adressat angesprochen. Das allgemeine Muster lautet: Anrede+ Name+ Äußerung mit Worten und Gebärden(z.B.“hallo Tarik KOMM"”). Der rein lautsprachliche Teil dient der Herstellung eines visuellen Kontakts, er ist von Bewegungen des Körpers und Blicken auf den Angesprochenen hin begleitet.
Gebärdetes wird teilweise gesprochen
Die Transkripte enthalten 52 Gebärdenäußerungen, bei denen Teile nicht gesprochen werden.
Einzelne Worte wie MUSCHEL und PERLEN fehlen im Lautsprachwortschatz.
Negative Bewertungen werden ohne Lautsprache geäußert(z.B. DOOF “KALT AUF” DOOF;“VORBEI” MAG_NICHT“Vorbei”). Zweimal wird nur die Wahrheitsbeteuerung auch gesprochen, der Inhalt der Aussage bzw. die Begründung aber nur gebärdet(SUCHEN MUSCHEL du_DOOF“LÜGEN LÜGEN”).
Wenig konsequent ist die Hinzunahme von Lautsprache bei Tempusmorphemen, Personalpronomina und Verneinungen. Bei neun Einheiten liefert die Gebärde zusätzliche Details. Z.B. bei“MANN” FAHRER istes die Rolle des Mannes, bei “MOTORRAD” VOLLGAS die Art der Fahrt des Motorrades. Gebärden mit und ohne Lautsprache stehen in einem Abfolgeverhältnis(z.B. ÜBERSCHLAG “TOT”; SCHLAFEN“TOT LACHEN”). Diese Kodierungen stellen möglicherweise aber auch mehrere Einheiten dar.
Teilweise gebärdet und teilweise gesprochen
Bei diesen 164 Einheiten kann der Inhalt einer Äußerung weder auf der Basis der Kenntnis von Lautsprache noch von Gebärdensprache allein ausreichend verstanden werden. Es werden vier Untergruppen gebildet.
Die gesprochene Anrede(z.B.“Norbert” KOMM_HER) stellt eine Variante des oben angesprochenen Phänomens dar, wobei das Folgende gebärdet oder gemischt ist.
Ähnliches gilt für die lautsprachlichen Funktionsworte: Personalpronomina, Konjunktionen, Hilfsverben und‘wenn’ und‘dann’ ‚wobei der Rest der Äußerung nicht vollständig gesprochen wird.
Bei einigen Lexemen wird ein Kanal bevorzugt. Namen werden gesprochen (z.B.:“FAHREN” NICHT SCHWIM
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIIL, Heft 4, 1992