Monika Brunsting-Müller* Kognitive und metakognitive Aspekte in der Arbeit mit lerngestörten Kindern
die du in der Schule auch brauchst. Aber in der Schule sieht es anders aus. Du bekommst keine“PunkteBlätter”, sondern Sprachblätter, Rechenblätter.
Es nützt schon viel beim Lesen. Dort muß man genau schauen.
U43
Weitere Besonderheiten: Die Analyse der Videobänder zeigte bei Ueli weitere Besonderheiten in den Bereichen Kognition und Sprache. Viele dieser Schwierigkeiten waren an sich häufig zu beobachten, wurden aber erst in der Videoaufnahme sichtbar, weshalb sich ein Aufzeichnen— zumindest der Sprache— sehr empfiehlt. Die Analyse der Bänder erfolgte nach phänomenologischen Gesichtspunkten und ist qualitativ.
Probleme im Bereich von Kognition und Sprache: Schwerpunkt Kognition
“Das Schwierige ist zu kapieren”: Uelis Hauptproblem stellt das Verstehen dar und er ist sich dessen auch bewußt: T51_Wenndujemandem erklären mußt, was du gemacht hast, was erzählst du ihm?
Erst muß er es lesen, dann muß er verstehen, was er gelesen hat Wie hast du es gemacht, daß du es verstanden hast?
Erst einmal gelesen und nicht so ganz verstanden.
US1 T5S2
US2
Er wußte, daß er oft“nicht so ganz versteht” und sich aktiv um das Verstehen bemühen mußte und zwar auch bei mündlich übermittelten Anweisungen oder Fragen. Immer wieder kames vor, daß er sagte, er verstehe die Frage nicht:
T 115 Welche Fehler findet man wohlam schnellsten? U 115 Ich verstehe die Frage nicht
Danach befragt, was für ihn bei einer Aufgabe das Schwierige gewesen Sei, meinte er:
T 107 Was war das Schwierige an dieser Aufgabe?
U 107 Das zu kapieren T 108 Was zu kapieren? U 108“rechts des Kreises”
Hier hatte er wohl Mühe zu verstehen, weil er Schwierigkeiten hat, sprachliches Material überhaupt zu verstehen und außerdem nur ungenügend verankerte kognitive Konzepte hatte. So wußte er nicht spontan, wo“rechts” ist und mußte dies mühsam herleiten(s.u.).
Ueli fehlen elementare kognitive und verbale Konzepte: Wie bereits angedeutet, wußte Ueli nicht, wo rechts ist. Es gelang ihm, dies herzuleiten, indem er motorische Vorstellungen(“wenn ich rechts vorbeilaufen würde...””) mit zeitlich-räumlichen(zuvorderst, zuerst) verknüpfte, wie das folgende Beispiel zeigt:
T109 Wie hast du denn gewußt, was rechts vom Kreis ist?
mh.. Ich habe... also... einfach gewußt: Wenn ich so vorbeilaufen würde(holt mit dem rechten Arm weit rechts aus und fährt langsam nach links), dann müßte der Kreis zuvorderst sein.
U 109
Dies erschwerte Uelis kognitive Aktivitäten hier und zweifellos auch anderswo. Offensichtlich machte es ihm, wie vielen lerngestörten Kindern Mühe, den verbalen Code mit anderen(z.B. visuell-räumlichen) zu verbinden(Klicpera, 1983, 1985; Vellutino, 1987) und es finden bei ihm nur unter erschwerten Bedingungen multiple Kodierungen(Swanson, 1986) statt. Dies führt zuschwachen Vernetzungen zwischen den einzelnen Codes und erschwert die Integration von Erfahrungen(Ebersole& Kephart, 1976).
Ueli verwendete Begriffe mit unklaren oder falschen Konzepten: Es kam oft vor, daß Ueli Wörter falsch benutzte. So sprach er von Titel oder Überschrift und meinte eigentlich die Anleitung:
T77 Was hast du gelesen?
U77 den Titel gelesen
T78 nur den Titel gelesen?
U78 also: ich meine die Überschrift T79 zeigst du sie mir bitte einmal? U79(zeigt die ganze Anleitung)
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1992
Darauf aufmerksam gemacht, was der Titel sei, sprach er wenig später vom “obern Titel”, eine Ausdrucksweise, die nahelegte, daß die Begriffe Titel— Überschrift immer noch nicht ganz geklärt waren.
Gelegentlich verwendte er auch unpräzise Begriffe, obschon er über die präzisen eigentlich verfügte, spricht z.B. von “Rundummel” statt“Kreis” oder von “Langeck” statt“Rechteck”. Offensichtlich hatte er die exakten verbalen Begriffe noch nicht automatisiert und suchte sie jeweils erst nach Intervention durch die Therapeutin. Da nach Füssenich davon auszugehen ist, daß“zwischen Kognition und Sprache ein Wechselverhältnis besteht und somit die sprachliche Entwicklung auch die geistigen Tätigkeiten des Kindes verändert”(Füssenich, 1986, 284), sind solche Interventionen von größter Wichtigkeit.
Ueli bleibt an konkreten Details und abstrahiert oft nicht: Wie bereits bei der Darstellung seiner Strategien gezeigt, abstrahiert Ueli wenig von seinen konkreten Handlungen:
T22_Wenndujemandem erklären müßtest, worum es geht, was würdest du sagen?
U22 Ich suche zuerst die große Treppe.
Als die Therapeutin insistierte, weil sie
eine allgemeinere Beschreibung möch
te, ging Ueli zwar darauf ein, antwortete aber so allgemein, daß es nicht mehr informativ war:
T23 Was muß man machen mit dem Blatt?
U23 ausfüllen
T24 Kannst du es noch genauer sagen?
U24 Also, das Dreieck, Langeck und die Treppe muß man ausfüllen
T25 mh. Man muß etwas suchen... Was muß man suchen?
U25 das Dreieck. Das Dreieck hat drei
Winkel.
Ziel wäre es, eine knappe Aufgabendefinition zu finden(z.B.“Man muß den Fehler suchen”), was ihm an dieser Stelle noch nicht gelang. Erst eine Sitzung spä
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