Buchbesprechungen
Heidelberger Sprachentwicklungstest H-SE-T von Grimm& Schöler, 1978) vorgestellt und eine Untersuchung sprachgestörter Kinder mit diesen Tests tabellarisch dargestellt. Ebenfalls tabellarisch zusammengefaßt folgt eine Darstellung von Kritikpunkten an den drei Tests, die im Rahmen ausgewählter Testbesprechungen vorgebracht wurden. Fazit aus dieser Auflistung! ist: Die vorgebrachte Kritik würde sich zwar“durch eine Revision der Tests größtenteils ausräumen” lassen, dies würde aber nicht genügen, da der “Test als Methode und die Testsituation” grundsätzlich in Frage zu stellen sind.
Im dritten Kapitel werden die“Begründungen für freie Sprachproben zusammengefaßt sowie Charakteristika benannt. Es folgen Ausführungen zur Repräsentativität freier Sprachproben, zur Transkription und Analyse”(S. 16). Freie Sprachproben stellen also den neuen Weg dar. Sie werden als“alltägliche, natürliche, unvorbereitete Gespräche” den“unbekannten unnatürlichen Kommunikationssituationen“? beim Testen gegenübergestellt. Während ein Test“situationsindifferent” diagnostiziert, ist eine freie Sprachprobe“situations- und interessenbezogen”. Beim Testen befindet sich das Kind ineiner“Zwangskommunikation”, das“Kind wird als sprachloses Naturding behandelt”, der Test folgt einer“Idee der Objektivität”, es ist eine“inhaltsleere, formalisierte Gerechtigkeitsidee, vor allem für rechtliche Zwecke wichtig”. Bei der Erhebung einer freien Sprachprobe kommuniziert das Kind demgegenüber freiwillig, das Kind gilt als “handlungs- und urteilsfähiges Wesen, als Gesprächspartner”. Die Objektivität ist“durch verständige Intersubjektivität(Gemeinschaftlichkeit des Handelns) erreicht”. Während sich bei Tests“meistens keine(weiteren) Auskünfte über spezifische Probleme ergeben”, werden bei einer freien Sprachprobe “spezifische Schwächen und Stärken aufgedeckt”.
Fazit:“Eine umfassende linguistische Analyse ist nur aufgrund freier Sprachproben möglich”(S. 17).
Trotz all dieser“Vor(ur)teile” gibt es auch bei der Erhebung freier Sprachproben noch einige Probleme, die von Heidtmann angesprochen werden: Im Abschnitt 3.2 geht es um die Frage des Umfangs und der Repräsentativität sowie um situative Einflußgrößen. Die Frage des Umfangs einer Sprachprobe ist nicht entschieden: In einigen Untersuchungen geht man von der Zeitdauer(zwischen 25 und 60 Minuten) aus, in anderen werden mindestens 100 grammatisch analysierbare Äußerungen, in wieder anderen
200 oder 1000 vorausgesetzt. Nach Diskussion verschiedener, in der Literatur zu findender Vorschläge empfiehlt Heidtmann“drei Situationen mit unterschiedlichen Partnern für die Analyse auf(zu)nehmen, und zwar: — Bezugsperson-Kind-Interaktion
— Kind-Kind-Interaktion
— Therapeut-Kind-Interaktion”(S. 34).
In den folgenden Abschnitten werden Transkriptionsmöglichkeiten von freien Sprachproben(Kap. 3.3) und deren Analyse(Kap. 3.4) dargestellt. Heidtmann leitet detailliert zur Transkription von Tonbandaufnahmen und von Videoaufzeichnungen an, wobei sie sich im wesentlichen an der“halbinterpretativen Arbeitstranskription”(HIAT bzw. HIAT 2 von Ehlich& Rehbein, 1979) orientiert. Bei der Transkription von Videoaufzeichnungen wird HIAT um“eine oder zwei Ebenen erweitert, d.h. zusätzlich zur verbalen Kommunikation(VK) kommen die nonverbale(NVK) und Aktionen(AK) hinzu”(S. 44).
“Nach Aufzeichnung und Transkription erfolgt als nächster Arbeitsschritt die Analyse” (S. 53). Heidtmann unterscheidet zwei methodische Möglichkeiten der Analyse von freien Sprachproben: Sprachprofile(Kap. 4) und Linguistische Analyse(Kap. 5). Sprachprofile stellen dabei“einen Kompromiß zwischen Tests und linguistischen Analysen dar”(S. 55). Heidtmann referiert ausführlich die Profilanalyse von Clahsen(1986) und illustriert diese am Beispiel“Wolfgang” von Clahsen. An der Profilanalyse wird die mangelnde theoretische Einheitlichkeit der verwendeten Kategorien kritisiert und die Adäquatheit der Bezugsgrammatik(en) in Zweifel gezogen. Darüber hinaus bemängelt Heidtmann, daß das Problem der Vergleichsnormen nicht gelöst ist. Als vorteilhaft wird herausgestellt,“daß man einen Überblick über den grammatischen Entwicklungsstand eines Kindes im Sinne einer genauen Phasenzuordnung? gewinnt”(S. 77).“Noch nicht geklärt ist m.E., ob und welche Hinweise für therapeutische Maßnahmen mit Hilfe der Profilanalyse gewonnen werden können” (ebd.), daher präferiert Heidtmann die“linguistische Analyse“. Vor der Darstellung der “Jlinguistischen Analyse” stellt sie zunächst ein weiteres Verfahren im Kapitel“Profilanalyse” vor: das Schema, das von Bloom und Lahey(1978) zur Analyse semantischer Relationen vorgeschlagen wird und eine Einteilung in acht Phasen enthält. Die 21 Kategorie-Definitionen(drei Seiten) unddas Schema(zwei Seiten) werden unübersetzt zitiert. Diese ausführliche und originale Darstellung ist meines Erachtens insofern sehr gut, als
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1992
sich der Leser ein eigenes Urteil bilden kann; eine Wertung seitens der Autorin wird nicht vorgenommen.
“Linguistische Analysen[Hervorh. vom Verf.] versuchen nicht, wie z.B. Sprachprofile, die kindlichen Äußerungen in vorher festgelegte Kategorien einzuordnen, sondern das individuelle Regelsystem des Kindes aufzudekken”(S. 84). Linguistische Analysen sind dadurch charakterisiert, daß sie“nicht von festgelegten, für alle Kinder identischen Kategorien aus(gehen), sondern(sie) entwikkeln diese aus den kindersprachlichen Äußerungen”(ebd.). Dies setzt voraus, daß für solche Analysen“auf seiten des Diagnostikers detaillierte und umfassende linguistische Kenntnisse” vorhanden sein müssen.
Für den grammatischen Bereich liegt eine syntaktische Detailanalyse von Hansen(1983) vor, die Heidtmann ausführlich anhand eines Fallbeispiels von Hansen referiert(Kap. 5.2). Da es sich um dasselbe Kind handelt, das auch bei der Profilanalyse von Clahsen als Fallbeispiel diente, ermöglicht dies der Autorin einen Vergleich im Hinblick auf die Frage, ob bei Wolfgang eine Sprachentwicklungsstörung oder eine-verzögerung vorliegt. Während Clahsen eine grammatische Entwicklungsverzögerung diagnostiziert, stellt Hansen bei dem Jungen eine grammatische Entwicklungsstörung fest. Der Grund für diese Diskrepanz besteht nach Heidtmann in der mangelnden Möglichkeit von Sprachprofilen, zwischen Entwicklungsstörungen und-verzögerungen differenzieren zu können. Heidtmann bewertet die syntaktische Detailanalyse resümierend als“einen vielversprechenden Ansatz im Rahmen der Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen“,
Als ein weiterer wichtiger Ansatz wird der “interpretative Ansatz zur Analyse semantischer Relationen” von Leonard, Steckol und Panther(1983) dargestellt(Kap. 5.3). Ein Vorteil dieses Ansatzes besteht nach Heidtmann darin, daß er“außer einer genauen Beschreibung(...) auch therapeutische Schlußfolgerungen(ermöglicht)”(S. 112). Neben den bisher in der Spracherwerbsforschung vor allem beachteten phonologischen, morpho-syntaktischen und semantischen Bereichen werden pragmatische Fähigkeiten als wesentlich für die Beurteilung des kindlichen Sprachstandes herausgestellt (Kap. 5.4). Die Sprechakttheorie und die linguistische Pragmatik liefern dazu“wichtige theoretische Grundlagen“. Im Rahmen der Diagnose von Sprachentwicklungsstörungen versucht man einerseits“mit Hilfe von Taxonomien kommunikative Absichten
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