Die Entwicklung eines geistigbehinderten Jungen mit autistischem Syndrom
in einer Integrationsklasse
Von Magdalene Kellner, Elisabeth Wirtz und Dieter Dumke
Anhand des Falles eines geistigbehinderten autistischen Jungen werden Bedingungen integrativer Unterrichtung untersucht. Der Zeitraum der Studie umfaßt die vier Grundschuljahre und das erste Schuljahr in einer Gesamtschule. Durch den Einsatz verschiedener Datenerhebungstechniken(freie und standardisierte Beobachtungen im Unterricht, Testverfahren, Verhaltensbeschreibungen der Lehrerinnen und Bezugspersonen) wird es möglich, wesentliche Entwicklungsschritte des Schülers im intellektuellen, schulischen, sozial-emotionalen sowie im lebenspraktischen Bereich zu dokumentieren, Seine Lernfortschritte werden zu spezifischen Bedingungen des integrativen Unterrichts in Beziehung gesetzt.
Specific conditions of mainstreamed classes are examined in the case of a mentally handicapped autistic boy. The timeframe of the study includes four years of primary school and the first year at the comprehensive school. Through the use of different data-collection techniques(unstructured and systematic observation in the classroom, test results, behavorial descriptions by the teachers and other related persons) it is possible to document the pupil’s essential developmental steps in the intellectual, scholastic and socioemotional areas as well as in teal life. His improvement will be related to specific conditions of the mainstreamed classes.
Rahmen und Ziel der Untersuchung
Rolf, ein geistigbehinderter Junge mit autistischem Syndrom, besucht seit seiner Einschulung vor fünf Jahren eine Integrationsklasse in Bonn. Drei seiner 20 Mitschüler sind ebenfalls behindert: zwei haben Lernbehinderungen, einer ist körperbehindert. Das gemeinsame Lernen erfolgt im Rahmen eines Schulversuchs zum Bonner IntegrationsklassenModell, an dem eine Grundschule(BonnFriesdorf) und eine Gesamtschule(BonnBeuel) beteiligt sind.
Seit 1981 nimmt die Grundschule jeweils eine Klasse als Integrationsklasse auf. In ihr werden vier bis sechs verschiedenartig behinderte Kinder gemeinsam mit 15 bis 18 nichtbehinderten Kindern im Zwei-Lehrer-System unterrichtet. Aus Gründen der Kostenneutralität erfolgt die Doppelbesetzung nur in etwa 70%
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der Unterrichtsstunden. Nach der Grundschulzeit wechseln die Integrationsklassen zur Gesamtschule. Da einige nichtbehinderte Schüler andere Schulformen wählen, kommt in der fünften Klasse eine entsprechende Zahl neuer Schüler hinzu.
Ziel der vorliegenden Einzelfallstudie ist es, wichtige Entwicklungsschritte des heute zwölf Jahre alten Rolf während seiner vierjährigen Grundschulzeit und seines ersten Jahres in der Gesamtschule aufzuzeigen. Es wird untersucht, inwieweit es möglich ist, ein autistisches geistigbehindertes Kind in einer Integrationsklasse zu fördern. Grundlage der Analysen bilden die Beobachtungen und Erhebungen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs.*
Aus methodischer Sicht ergibt sich daraus eine wesentliche Einschränkung. Die für Einzelfallstudien geforderten Standards(Petermann& Hehl 1979; Rei
necker 1984) sind im Rahmen einesSchulversuchs kaum realisierbar(Langfeldt 1988). Daher wurde für die vorliegende Falldarstellung von vornherein auf die Anwendung von Versuchsplänen im Sinne experimenteller Einzelfalldesigns verzichtet. Vielmehr beschränkte sich die Datenerhebung auf die Möglichkeiten, die die Schulsituation selbst zuließ: freie Beobachtung, standardisierte Unterrichts- und Schülerbeobachtung, Hospitationsberichte, Gespräche und Interviews mit Lehrern und Bezugspersonen, Beurteilungen und Einschätzungen durch Lehrer und Schüler, Tests, Dokumente.
* Die wissenschaftliche Begleitung zum Modellversuch„Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in der Grundschule und in der Sekundarstufe I‘ wird vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen und vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft gefördert.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991