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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Magdalene Kellner et al.+

Die Entwicklung eines geistigbehinderten Jungen

Tabelle 2: Ausgewählte Ergebnisse des HKI(Rohwerte und Prozentrangbereiche)

2. Schuljahr 3. Schuljahr 4. Schuljahr 5. Schuljahr RW PR RW PR RW PR RW PR Kognitive Kompetenz 90 5Q_75 101 50-75 111 25-50 120 25-50 (gesamt) Geometrische Grundbegriffe 10 25-50 15 75 11 25-50 14 25-50 Rechnen 5 25-50 8 50-75 12 50 14 50-75 Lesen/Schreiben 7 50 9 50-75 15 5S0-75 14 5S075 Soziale Kompetenz 26 10-25 60 25-50 67 25-50 72 25-50 (gesamt) Lern- und Arbeits­verhalten 5 10-25 14 5S075 15 50-75 8 10-25 Ident.findung, Selbstkonzept 7 10-25 14 50-75 17 1S 14 50 Selbstkontrolle 3 10-25 25 9 25-50 11 25-50 Selbstbehauptung 3 10-25 25-50 10 25-50 17 75-90 Perspektivenübernahme S 10-25 25-50 7 10-25 11 25-50 Kooperation 3 10-25 10 25-50 9 25-50 11 25-50 Praktische Kompetenz 45 25_50 39 25-50 53 25-50 55 1215-50

(gesamt)

abzuwarten, bis er beim Geräteturnen an der Reihe ist. Bei komplexeren Grup­pen- oder Wettkampfspielen(Brennball, Völkerball) gelingt dies jedoch nicht. Für Sing- und Tanzspiele hegt er eine ausge­sprochene Vorliebe; er erfaßt schnell Rhythmen und kann sie auf der Conga oder mit dem Tamburin begleiten.

Im Schwimmunterricht taucht Rolf schon im zweiten Schuljahr den Kopf un­ter Wasser. Im dritten Schuljahr wagt er, vom Rand und später auch vom Start­block ins Wasser zu springen und findet für sich eine Art der Fortbewegung, die ihn einige Züge über Wasser hält.

Entwicklung der Feinmotorik, Schreibenlernen

Im ersten Schuljahr kann Rolf einen Stift halten und Punkte und Striche kritzeln. Er zeigt Ansätze zum Zeichnen eines Kreises. Durch gezielte Förderung von

Wahrnehmung, feinmotorischen Fertig­keiten und Konzentration(Einsatz von Frostig-Material, Ausschneideübungen, Schwungübungen an der Wandtafel, Nachfahren großformatiger Vorlagen) kommt er im Laufe des dritten Schul­jahres zum Ziffernschreiben. Buchsta­ben werden wegen ihrer höheren An­forderungen zunächst zurückgestellt.

Im vierten Schuljahr fährt Rolf einige wenige Buchstaben nach und schreibt seinen Vornamen. Im fünften Schuljahr ist eine große Leistungssteigerung zu beobachten: Er schreibt jetzt praktisch alle Buchstaben, viele in Groß- und Kleinschreibung, sowie einige einfache Wörter. Die Ergebnisse der Skala ‚,Le­sen/Schreiben im HKI bestätigen die­ses Bild(s. Tab. 2). Rolfs knapp durch­schnittliche Leistung im Feinmotorik­testKreise punktieren(KP) der TBGB verändert sich im Laufe des untersuch­ten Zeitraums nicht(s. Tab. 1).

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991

Sozial-emotionale Entwicklung

Die Ablehnung sozialer Kontakte bis hin zur völligen Abkapselung stellt ein Kenn­zeichen des frühkindlichen Autismus dar. Deshalb wird häufig eine sehr vor­sichtige Anbahnung von Kontakten bei autistischen Kindern vorgeschlagen, zu­nächst möglichst nur über einen Erwach­senen(Innerhofer& Klicpera 1988). Die relativ große Lerngruppe einer Integra­tionsklasse könnte demnach der sozial­emotionalen Entwicklung eines autisti­schen Kindes sogar abträglich sein. Da­her ist zu fragen, wie in der Unterrichts­situation einerseits Rolfs spezifische Be­dürfnisse berücksichtigt und ihm anderer­seits Lerngelegenheiten zum Aufbau so­zialer Kompetenz und emotionaler Sta­bilität geboten werden können.

Zum Zeitpunkt der Einschulung sind die autistischen Merkmale bei Rolf ganz be­sonders ausgeprägt. Schreien als Reak­tion auf verunsichernde Situationen ist an der Tagesordnung. In der Hälfte aller beobachteten Unterrichtsstunden wer­den aggressive Verhaltensweisen Mit­schülern und Lehrerinnen gegenüber ver­merkt(freie Schülerbeobachtung). Rolf erscheint in seinem Verhaltenunbere­chenbar, Er meidet die Nähe anderer, dennoch beobachten die Lehrerinnen von Anfang an bei Rolf Anzeichen von Interesse an sozialen Prozessen in der Klassengemeinschaft. Viel Zeit des Vor­mittags verbringt er mit stereotypem Verhalten: Licht an- und ausschalten, Jalousien hochziehen und herunter­lassen.

Während des zweiten Schuljahres ist eine deutliche Zunahme sozialer Anpassung bei Rolf zu erkennen. Zwar treten Wut­anfälle und Schreien als Reaktion auf Mißfallen, Frustration und Unverständ­nis unverändert auf(in 55% der beob­achteten Unterrichtsstunden), aber Rolf zeigt auch deutlich positive emotionale Reaktionen: Freude beim gemeinsamen Sport, Spaß am gemeinschaftlichen Sin­gen. Mehrfach wird beobachtet, daß Rolf sich eigenständig eine Beschäftigung sucht, die keine ausschließlich stereo­typen Wiederholungen beinhaltet. Zu­nehmend erscheint Rolf ansprechbar für Wünsche und Erwartungen der Lehrerin­

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