Schuljahres selbständiger(Ankleiden, Frühstück). Eine wesentliche Erweiterung der praktischen Fertigkeiten wird jedoch nicht beobachtet. So werden am Ende des dritten Schuljahres im HKI die Aspekte der„Praktischen Kompetenz“ weiterhin als knapp durchschnittlich bis durchschnittlich eingeschätzt(s. Tab. 2).
Hat Rolf im dritten Schuljahr Entwicklungsfortschritte vor allem im sozialemotionalen Bereich gemacht, so zeigen sie sich im vierten Schuljahr auch in den praktischen Fertigkeiten. Er kleidet sich jetzt selbständig an, bindet jedoch keine Schleife, In der Frühstückspause öffnet er nun alleine seinen Joghurtbecher, zerteilt Obst und benutzt das notwendige Besteck korrekt.
Der Wechsel zur weiterführenden Schule stellt hohe Anforderungen an Rolfs praktische Kompetenz. Daher liegt der Schwerpunkt des pädagogischen Bemühens in der Anpassung an die veränderte Umwelt. Die Orientierung in den neuen Räumlichkeiten, der veränderte Tagesablauf sowie die Mittagsmahlzeit in der Mensa erweitern seinen Verhaltensspielraum, Nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten hat er sich im zweiten Halbjahr deutlich akklimatisiert. Jetzt findet er allein zur Toilette, er holt sich im Sekretariat selbständig seine Essensmarken, und er weiß, wo die Bibliothek ist. Er entdeckt für sich das umliegende Schulgelände und kommt pünktlich am Schluß der Stunde zurück. Rolf geht allein zum Taxistand und wartet dort, bis er abgeholt wird. Der Ausbau weiterer praktischer Fertigkeiten, wie sie im HKI gefragt sind, steht dahinter jedoch etwas zurück(s. Tab. 2).
Diskussion
In der Diskussion soll eine Bewertung der Entwicklung Rolfs vor dem Hintergrund integrativen Unterrichts erfolgen.
Strukturelle Bedingungen
Welche strukturellen Bedingungen der Unterrichtssituation führen dazu, daß
Rolf mit Erfolg— und das heißt auch, ohne Beeinträchtigung des Lernens Sseiner Mitschüler— am Unterricht teilnehmen kann? Hierzu sollen Daten aus der systematischen Unterrichtsbeobachtung im dritten Schuljahr weitere Hinweise geben. Die folgenden Prozentangaben beziehen sich stets auf die Gesamtzeit von 34 beobachteten Unterrichtsstunden(Dumke 1990).
Rolf erhält in gut einem Drittel der Unterrichtszeit(34%) direkte Lehrerbetreuung, entweder allein oder zusammen mit zwei behinderten Schülern. Dabei wird er hauptsächlich von der zweiten Lehrerin, meist der Sonderschullehrerin, gefördert. Sie arbeitet mit ihm oft im Gruppenraum, der durch eine Glaswand vom Klassenraum abgetrennt ist (25% der beobachteten Zeit).
Neben Einzelförderung ist ein ebenfalls wichtiger Aspekt des integrativen Unterrichts die Differenzierung durch die Aufgabenstellung. In 34% der beobachteten Unterrichtszeit erhält die ganze Klasse differenzierte Aufgaben. Für Rolf erfolgt in weiteren 52% der Zeit Einzeldifferenzierung, die zur Hälfte themengleich ist. So lernt er z.B. Schuhe zu putzen, während seine nichtbehinderten Mitschüler eine Vorgangsbeschreibung über das Schuheputzen anfertigen. Die Arbeit am gleichen Thema fördert den Kontakt zu den Mitschülern und bei Rolf das Gefühl, dazuzugehören. Themenverschiedene Einzeldifferenzierungen werden notwendig, wenn. sich die Klasse mit komplexen Unterrichtsgegenständen befaßt. Sie bestehen für Rolf meist aus Übungen basaler Fertigkeiten wie Ausschneiden, Sortieren oder Nachfahren.
Der Anteil der gemeinsamen Arbeit am gleichen Thema(z.B. in Musik oder Kunst) beträgt 10%. In 4% der Zeit hat Rolf keine Aufgabe.
Diese Daten, die durch Befunde aus zwei systematischen Schülerbeobachtungen im zweiten und fünften Schuljahr ergänzt werden, weisen auf den flexiblen Einsatz verschiedener Organisationsformen des integrativen Unterrichts hin. Rolf wird in dem Maße an Partner- und Gruppenarbeit herangeführt, wie er die Nähe anderer Personen ertragen kann.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991
Therapieorientierte Ansätze der Lehrerinnen
Der von den Lehrerinnen eingeleitete Prozeß läßt sich als Versuch beschreiben, das Maß an Veränderung und Stabilität, an Nähe und Distanz zu finden, das für Rolf erträglich ist und das es ihm möglich macht, sich zu entfalten. Neben den Lernprozessen im Sozialemotionalen Bereich sind auch die Fortschritte in den schulischen Fertigkeiten auf der Basis dieser Beziehungen zu sehen. Ausgehend von dem Konzept der Verhaltensmodifikation zeigen die Lehrerinnen Rolf gegenüber eine liebevolle und konsequente Haltung. So reduzieren sie einmal unerwünschte Verhaltensweisen und vermitteln gleichzeitig durch ihr für Rolf berechenbares Verhalten ein Gefühl von Konstanz und Sicherheit. Auch die Mitschüler werden angeleitet, Rolfs Störverhalten zu ignorieren.
Eine große Bedeutung messen die Lehrerinnen der Versprachlichung von Handlungen und der Ankündigung zukünftiger Ereignisse bei. Bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen werden mit Rolf immer wieder besprochen. In der zweiten Klasse nimmt er in 19% der Zeit verbalen Kontakt zur Sonderschullehrerin auf, in der fünften Klasse sogar in 35%(systematische Schülerbeobachtung; Dumke, in diesem Heft). Dies erweitert seine Sprachkompetenz, und Rolf erfährt, daß er sich auf. das, was die Bezugspersonen ihm sagen, verlassen kann. So wird ein wesentlicher Schritt in seiner Entwicklung möglich: die Lösung von Objekten und Handlungsmustern als Sicherheit gebenden Schemata und die Hinwendung zu Personen. Auf diesem Hintergrund entwickelt Rolf eine gewisse Toleranz Veränderungen und Abweichungen gegenüber. Werden ihm Änderungen des Gewohnten rechtzeitig mitgeteilt und hat er genügend Zeit und Gelegenheit, sie durch Rückfragen zu verarbeiten, ist er in der Lage, diese zu ertragen, Seine ritualisierte Sprache und das Vertrauen in die Bezugspersonen ersetzen gleichsam die früher notwendige Konstanz der Objekte und Handlungen. Beim Aufbau erwünschten Verhaltens setzen die Lehrerinnen zunächst häufig
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