Soziale Kontakte behindeter Schüler
in Integrationsklassen*
Von Dieter Dumke
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die sozialen Kontakte in konkreten Situationen des integrativen Unterrichts direkt zu erfassen. Dazu wurden mit Hilfe eines differenzierten Kategoriensystems jeweils einzelne Schüler in fünf Integrations- und in sieben Parallelklassen(Grundschule und Sekundarstufe I) stundenweise im 1-Minuten-Takt beobachtet. In die Untersuchung waren 24 behinderte Schüler einbezogen. Die Ergebnisse bestätigen überwiegend signifikante Unterschiede zwischen Integrations- und Parallelklassen hinsichtlich der sozialen Situationen und Aktivitäten. Die Befunde werden im Hinblick auf die Bedeutung für die soziale Integration der behinderten Schüler diskutiert.
This study investigated social contacts in concrete situations of education in mainstream classes. Each pupil in five mainstream classes and in seven regular classes(primary and comprehensive school) was observed hourly in one minute intervals by using detailed categories. 24 handicapped children participated in the investigation. Findings mainly confirm significant differences between the mainstream and the other classes concerning social situations and activities. The results are discussed with regard to their importance for mainstreaming, in so far as the social situation of handicapped pupils is concerned,
Fragestellung
Befragt man Eltern nach den Gründen, die sie veranlaßt haben, ihr Kind eine Integrationsklasse besuchen zu lassen, so nennen sie an weitaus erster Stelle die erwarteten positiven Einflüsse im Sozialverhalten(Dumke, Krieger& Schäfer 1989). Eltern behinderter und nichtbehinderter Kinder stimmen hierin nahezu überein. Bei einer entsprechenden Befragung von Lehrern verschiedener Schulformen ohne bisherige Erfahrungen mit dem gemeinsamen Unterricht betonen diese ebenso eindeutig die Vorteile der integrativen Erziehung hinsichtlich der sozialen Entwicklung, allerdings vorrangig für die
* Die Untersuchung wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft geförderten Modellversuchs ‚‚Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in der Grundschule und in der Sekundarstufe I‘‘ durchgeführt.
nichtbehinderten Schüler. Im Hinblick auf die behinderten Kinder befürchtet ein Teil der Lehrer negative Auswirkungen in der Auseinandersetzung mit den nichtbehinderten Schülern insbesondere durch Frustrationen beim Erleben ihrer behinderungsspezifischen Grenzen. Solche Zweifel kommen auch-in einer Umfrage bei Mitgliedern des Verbandes Deutscher Sonderschulen zum Ausdruck(Bleidick 1988).
Andererseits will gerade der integrative Unterricht die mitmenschlichen Beziehungen zwischen Behinderten und Nichtbehinderten verbessern helfen, und zwar vor allem durch die Qualität der sozialen Interaktionen. Immer wieder wird auch in der Literatur mit Nachdruck hervorgehoben, daß das bloße Beisammensein von behinderten und nichtbehinderten Schülern noch keine soziale Integration bedeutet(Benkmann 1990; v. Pawel 1986; Vetter 1985). Diese Feststellung steht nur vordergründig im Widerspruch zur
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991
sog. Kontakthypothese, die auf die Möglichkeit hinweist, daß sich Einstellungen durch die Zunahme von Kontakten verbessern(Homans 1950/1972). Verschiedene sozialpsychologische Untersuchungen zu dieser Hypothese haben auf einschränkende Bedingungen aufmerksam gemacht. So fand auch Cloerkes(1985) bei der Analyse einer größeren Zahl von Untersuchungen zu Einstellungen und Verhalten gegenüber Behinderten, daß sich keine einfache Bestätigung oder Widerlegung der These von Homans ergab. Vielmehr sind Art und Qualität des Kontaktes entscheidend.
Es wird davon ausgegangen, daß der integrative Unterricht vielfältige Möglichkeiten für soziale Kontakte, Kommunikation, gegenseitige Unterstützung und sozial-emotionale Zuwendung bietet, und zwar sowohl für die Schüler untereinander als auch zwischen Lehrern und Schülern. An den sozialen Interaktionen nehmen behinderte und nichtbehinderte
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