Dieter Dumke+
Schüler gleichermaßen teil; die Kontakte zwischen den beiden Schülergruppen sind, relativ zur Größe, deutlich höher als die innerhalb der jeweiligen Gruppe. Die Häufigkeit und die Qualität der sozialen Beziehungen in Integrationsklassen wird auch im Vergleich zu denen in Parallelklassen sichtbar.
Unter diesen Annahmen ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, soziale Interaktionen in konkreten Situationen des integrativen Unterrichts direkt zu beobachten, um so bestimmte Strategien und Verhaltensweisen, die Lehrer und Schüler im täglichen Umgang miteinander anwenden, genauer beschreiben zu können. Soziales Verhalten im Unterrichts- und Erziehungsprozeß soll also unmittelbar erfaßt werden. Damit geht es um die Frage, inwieweit unter bestimmten unterrichtlichen und gruppenspezifischen Bedingungen Möglichkeiten des sozialen Handelns und Kommunizierens auftreten, die Voraussetzung oder gar bereits Bestandteil einer sozialen Integration sind.
Methode
Die Untersuchung wurde im Rahmen des Schulversuchs zum Bonner Integrationsklassen-Modell durchgeführt. An diesem Modellversuch sind eine Grundschule (Bonn-Friesdorf) und eine Gesamtschule (Bonn— Beuel) beteiligt. Die Analyse des Sozialverhaltens behinderter Schüler in integrativ geführten Klassen betrifft einen Teilaspekt einer umfassenderen Beschreibung von Unterrichts- und Erziehungsprozessen in Integrations- und Parallelklassen(Dumke 1990).
Die Schülerbeobachtung erfolgte mit Hilfe eines differenzierten Kategoriensystems(14 Hauptkategorien mit jeweils weiteren Unterkategorien), das weitgehend objektiv erfaßbare Verhaltensweisen berücksichtigt(Schäfer 1990). Dadurch ließ sich, nach einem entsprechenden Training, eine hohe Beobachter-Übereinstimmung erzielen. Pro Stunde wurde ein einzelner Schüler beobachtet. Der Beobachter nahm für jede Minute für die einzelnen Kategorien die kodierte Eintragung in ein Raster vor.
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Soziale Kontakte in Integrationsklassen
Die Hauptkategorien lauten:
— soziale Situation des Schülers
— wahrnehmbarer Gefühlsausdruck
— Arbeitsverhalten
— nicht unterrichtsbezogene Tätigkeiten
— gegenseitige Unterstützung der Schüler
— Hilfestellung durch den Lehrer
— verbaler Kontakt zwischen Schülern
— verbaler Kontakt zum Lehrer
— zeigen
— zuschauen, zuhören
— Zuwendung
— Schüler-Lehrer-Konflikt
— Konfliktpartner bei Schüler-SchülerKonflikt
— Form des Schüler-Schüler-Konflikts
An den Untersuchungen der wissenschaftlichen Begleitung sind fünf Integrationsklassen(fünf Jahrgänge) mit entsprechenden Parallelklassen beteiligt. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Schülerbeobachtung befanden sich drei dieser Integrationsklassen in der Grundschule(2. bis 4. Schuljahr) und zwei in der Gesamtschule(5. und 6. Schuljahr). Neben den fünf Integrationsklassen waren sieben Parallelklassen einbezogen(je eine pro Jahrgang in der Grundschule und je zwei in der Gesamtschule). Von den 24 behinderten Schülern sind sieben körper-, sieben lern- und fünf geistigbehindert, drei hörgeschädigt und zwei erziehungsschwierig.
In den Integrationsklassen wurden 59 nichtbehinderte Schüler(NBeh) insgesamt 74 Stunden und die 24 behinderten Schüler(Beh) insgesamt 92 Stunden beobachtet. In den Parallelklassen(Pkl) waren es 106 Schüler mit insgesamt 118 Stunden. Damit liegen 9.070 Beobachtungseinheiten vor(5.021 in Integrationsund 4.049 in Parallelklassen).
Um die große Zahl der Daten überschaubar zu machen, erfolgte eine faktorenanalytische Auswertung. Hierzu wurde für jeden Schüler die Häufigkeit des beobachteten Merkmals auf die Gesamtzahl der Beobachtungsminuten pro Stunde bezogen. Der so erhaltene Quotient ging nach einer z-Transformation als jeweiliges Schülermerkmal in die Berechnungen ein. Bei der Beschreibung der zu den Faktoren gehörenden Einzelkategorien werden zur weiteren Veranschauli
chung die relativen Häufigkeiten, bezogen auf die Minuten-Einheiten, für die drei Schülergruppen angeführt.
Ergebnisse
Die Faktorenanalyse hat sieben interpretierbare Faktoren geliefert, die im folgenden als Ordnungsrahmen für die Darstellung der Ergebnisse dienen. Für die drei Schülergruppen(Beh, NBeh, Pkl) wurden die mittleren Faktorwerte berechnet und die Mittelwertsunterschiede varianzanalytisch auf statistische Signifikanz geprüft(s. Tabelle 1).
Einzelbetreuung von Schülern
Der Faktor 1 faßt vier Kategorien aus vier verschiedenen Beobachtungsbereichen zusammen(s. Tabelle 2), die Aspekte der Einzelbetreuung des Schülers durch den Lehrer betreffen: verbaler Kontakt, Einzelbetreuung als soziale Situation, Hilfe, Zuwendung. Die Faktorwerte der drei verglichenen Schülergruppen unterscheiden sich sehr signifikant. Behinderte Schüler erhalten das höchste Maß an: Unterstützung und Zuwendung durch den Lehrer, gefolgt von ihren nichtbehinderten Mitschülern. Für die Schüler in den Parallelklassen fällt diese Art des Einzelkontaktes durchweg recht gering aus.
Die Kategorie„verbaler Kontakt zum Lehrer“ erfaßt im Sinne einer Grundrate alle verbalen Kontakte zwischen Schüler und Lehrer, also auch die nicht unterrichtsbezogenen. Es erfolgte jedoch keine Signierung, wenn der Schüler im Frontalunterricht sich meldete, aufgerufen wurde und antwortete. Üblicherweise haben Schüler wenig individuellen Kontakt zum Lehrer. So sprechen in Parallelklassen Lehrer und Schüler nur in 4% aller beobachteten Zeiteinheiten direkt miteinander. Deutlich anders ist die Situation in den Integrationsklassen(Beh 16%, NBeh 10%). Darüber hinaus sind die verbalen Kontakte zum Regelschullehrer, offensichtlich wegen seines größeren Anteils an
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991