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Erforschte Integration Das wohnortnahe Modell der Uckermarck-Grundschule
auf dem Prüfstand
Von Ulf Preuss-Lausitz
Es wird über die sechsjährigen wissenschaftlichen Ergebnisse der Berliner Schulversuche zur wohnortnahen gemeinsamen Erziehung ‚behinderter‘ und ‚nichtbehinderter‘ Schüler berichtet. Dabei stehen vor allem Untersuchungen zur sozialen Integration, zur Schulleistung, zur integrativen Pädagogik und zu den Rahmenbedingungen im Mittelpunkt. Die Übertragbarkeit des Konzepts für durchschnittliche soziale und pädagogische Bedingungen wird als machbar eingeschätzt.
This report overviews the results of the school experiment in Berlin to teach handicapped and non-handicapped students integratively. In the centre of interest are the investigations conducted over a period of six years concerned social integration, academic achievement and institutional framework. The transfer of the realized educational concept to average social and pedagogical situations seems to be possible.
1. Zur Entstehung des Konzepts
Vor rund 20 Jahren, um 1970, wurden die ersten fachöffentlichen Kritiken am bundesdeutschen Sonderschulsystem unter sozialen, pädagogischen und Effektivitätsgesichtspunkten geäußert. Diese Kritik, die eng mit den schulreformerischen Erwartungen an ‚Chancengleichheit‘ in einer reformierten Schule, nämlich der Gesamtschule, verbunden war, löste in den Sonderschulen, insbesondere beim Sonderschulverband, heftige Gegenreaktionen aus. Erstaunlicherweise
hat dies nicht dazu geführt, die allenthal
ben von Verteidigern der Sonderschule behaupteten Vorzüge empirisch zu untersuchen und öffentlich nachvollziehbar darzulegen. Aber auch die frühen Befürworter gemeinsamer Erziehung konnten naturgemäß nicht auf empirische Belege für erfolgreiche integrative Praxis verweisen; ihre Auswertungen von Einzelfällen und ausländischer Erfahrungen wurden in der Regel mit dem Hinweis auf Nichtverallgemeinerbarkeit und Unübertragbarkeit zurückgewiesen. Es blieb daher jahrelang bei theoretischen
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Kontroversen, aber auch bei Unterstellungen gegenüber den„sozialromantischen“ Integrationsvertretern.
Auch die Bildungsratsempfehlung von 1973„Zur pädagogischen Förderung Behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ löste erst einmal wenig mehr als Diskussionen aus. Zwar konnten schon Mitte der 70er Jahre jene Einzelfälle dokumentiert werden, in denen vor allem Sinnes- und Körperbehinderte in Regelschulen unterrichtet wurden(Muth, Kniel& Topsch 1976). Ein Experimentalprogramm zur Integration, wie es etwa in Verbindung mit der entsprechenden Empfehlung des Bildungsrates zur Gesamtschule durch die Kultusminister fast aller Bundesländer durchgeführt wurde, entstand jedoch nicht. Erst der Druck von Eltern behinderter Kinder aus integrativ arbeitenden Kindertagesstätten, die die gemeinsame Erziehung auch in der Grundschule fortsetzen wollten, führten zu ersten Modellversuchen, denen wissenschaftliche Begleitungen zugeordnet wurden. So begann die Fläming-Grundschule in Berlin 1976 mit einem ihrer drei Züge
integrativ. Sie wurde mit ihrem Konzept (5+ 10; ein Lehrer und ein Erzieher pro Klasse) für lange Jahre zum Modell für andere Initiativen, auch in anderen Bundesländern. Die Fläming-Schule und ihre wissenschaftliche Begleitung waren in dieser Zeit— nach Auflösung des Bildungsrates, in einer Zeit der abgebrochenen Bildungsreformpolitik und der Einsparungen— neben der praktischen pädagogischen Arbeit und der permanenten Abwehr von Verschlechterungen der Rahmenbedingungen vor allem damit beschäftigt, den Eltern, Lehrern, Medien- und Politikvertretern zu zeigen, daß und wie gemeinsame Erziehung ‚geht‘(Projektgruppe 1989). Die positive Darstellung konkreter Praxis und die Schilderung von erfolgreichen Einzelfällen ist jedoch leider meist nur für jene überzeugend, die sich überzeugen lassen wollen; für Skeptiker reicht dies nicht aus. Diese Erfahrung hatten schon die Gesamtschulforscher gemacht. Sie standen von der jeweils parteipolitisch anderen Seite immer im Verdacht, Gefälligkeitsforschung für ihre jeweiligen Auftraggeber zu betreiben, insbesondere
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991