Ulf Preuss-Lausitz+ Erforschte Integration
‚patchworks‘ von methodischen Zugängen angemessen. So läßt sich eine Feststellung, welche Formen der Unterrichtsgestaltung sich über die Jahre als besonders hilfreich erweisen, nur im langjährigen Erproben durch unterschiedliche Lehrer und in verschiedenen Klassen und Jahrgangsstufen, ihre Auswertung nur im ‚Expertengespräch‘ mit den Lehrern und durch die wiederholte— auch unsystematische— Beobachtung erarbeiten. Anderes, wie etwa die Entwicklung der sozialen Beziehungen der Gutachtenkinder innerhalb und außerhalb der Klasse im Laufe ihrer Grundschulzeit, verlangt den Einsatz zuvor für die gesamte Zeit festgelegter einheitlicher Beobachtungs- bzw. Befragungsverfahren. Nicht zuletzt ist auch die regelmäßige Auswertung von Fallbesprechungen, Konferenzen, schriftlicher Dokumente(z.B. Stellungnahmen von Elternvertretungen) u.a. ein notwendiger Teil einer inhaltlich gefüllten, empirisch auf verschiedenen Ebenen abgesicherten Darstellung.
Der Einwand gegen eine derartige Monographie ist in der Regel der, daß sie zwar sehr schön und anschaulich die Wirklichkeit einer Schule beschreiben möge, allgemeine Aussagen— also wissenschaftliche im strengen Sinne— jedoch nicht erlaube. Die ‚kleine Zahl‘ der Fälle spreche darüber hinaus gegen ihre Repräsentativität.
Für die Untersuchungen an der Uckermark-Grundschule kann gesagt werden, daß ihre Ergebnisse deshalb eine besondere Qualität haben, weil hier nicht eine einmalige Stichprobe gezogen wurde, sondern die selben Schüler(in 18 Klassen zu je rund 20 Kindern) über bis zu sechs Jahre untersucht wurden. Die Verfahren blieben einheitlich. Sie wurden gewonnen bei einer sozial außerordentlich heterogenen Schülerpopulation. Nicht bildungs- und schulorientiert hoch motivierte Eltern, sondern die Grundschullehrer einer Schule ‚im Kiez‘ initüerten das Konzept. Knapp 40 Gutachtenkinder waren Teil der Untersuchungen. Durch verschiedene Methoden und Absicherungen von Teiluntersuchungen wurden die Aussagen immer wieder überprüft. Die ‚harten‘ Daten sind deshalb besonders relevant, weil bekannt
und dokumentiert ist, aufgrund welcher konkreten pädagogischen und sozialen Bedingungen sie Zzustandegekommen sind. Es wurden zwar jährliche Zwischenberichte für die Verwaltung(und die fachwissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit) erstellt, aber erst nach Abschluß der gesamten Wissenschaftlichen Begleitung das Gesamtforschungsergebnis(vgl. Heyer, Preuss-Lausitz& Zielke 1990) vorgelegt. Dieser Beitrag bezieht sich darauf.
Die Ergebnisse dieses Schulversuchs sind um so gewichtiger, als sie mit anderen bundesdeutschen Integrationsstudien — trotz teilweise differenzierender Schülerzusammensetzungen und methodischer Zugänge— in weiten Teilen in Übereinstimmung stehen. Die Wissenschaftlichen Begleitungen aus dem Saarland, aus Schleswig-Holstein, aus Berlin, aus Rheinland-Pfalz, aus NordrheinWestfalen, Bremen und Hamburg standen und stehen in engem Kontakt über Ziel- und Methodenfragen, Ergebnisse und Bewertungsmöglichkeiten. Daher kann die Aussage gewagt werden, daß Forschungsansatz und Hauptergebnisse gerade für den ‚Normalfall‘ sinnvoller pädagogischer— wohnortnaher und kooperativer— Integration repräsentativ sind.
3. Forschungsergebnisse zur Akzeptanz bei Eltern
Gesamtschulen leiden in Großstädten oft unter einem negativen ‚creamingeffect‘: sie werden von Schülern mit gymnasialer Orientierung oft gemieden. Viele Integrationsskeptiker befürchteten, daß die Furcht von Eltern vor einer ‚Niveausenkung‘, aufgrund der Rücksichtnahme auf lernschwache Schüler, zu ähnlichen Entwicklungen führen würde.
Die Entwicklung der sozialen Zusammensetzung in der Uckermarck-Grundschule widerlegt diese Befürchtung. Im Gegenteil, die Schulpraxis führte zu einem positiven ‚creaming-effect‘: der Anteil von Schülern aus Haushalten, in denen Vater und/oder Mutter das Gymnasium besucht hatten, verdoppelte sich
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991
innerhalb von fünf Jahren(von 16% auf 33% bei den Vätern, von 20% auf 41% bei den Müttern). Zugleich blieb der Anteil der Schüler aus Familien der sogenannten Unteren Unterschicht(nach dem Statuskonzept von Kleining/Moore) bei 20—-30% relativ gleich. Da anzunehmen ist, daß das Wohnumfeld sich innerhalb von fünf Jahren wenig verändert, ist diese Entwicklung eindeutig so zu interpretieren, daß Eltern mit höheren Bildungsaspirationen für ihre Kinder in der gemeinsamen Erziehung weniger eine Bedrohung als vielmehr eine zusätzliche Förderung sehen. Die Schulempfehlungen für die Oberschule bestätigen diese Einschätzung der Eltern.
Die dargestellte Entwicklung entstand trotz einer relativ rigide durchgehaltenen Aufnahme von Schülern nur aus dem Wohnumfeld. Immer gab es mehr Anmeldungen— auch von außerhalb— als Aufnahmemöglichkeiten für die ‚nichtbehinderten‘ Schüler. Von den Gutachtenkindern des unmittelbaren Einzugsgebietes konnten alle aufgenommen werden; die empirisch begründete Annahme, zusätzliche Förderung für etwa 10% sei sinnvoll, war also realistisch. Dieser Anteil schloß auch jene Kinder ein, die in einer regulären Schule ohne Förderung erst einmal ‚grau‘ integriert und dann nach ein oder zwei Jahren auf eine Sonderschule(für Lern/Verhaltensauffällige) überwiesen worden wären, Durch das gewählte Verfahren brauchten an der Uckermark-Grundschule in späteren Schuljahren kaum Kinder in die zusätzliche Förderung aufgenommen und so als Gutachtenkinder definiert werden.
Ein erheblicher Teil der Gutachtenkinder stammte aus sozial belasteten Unterschichtfamilien— entsprechend den seit Begemann(1970) bekannten Lebensverhältnissen für sog. Lernbehinderte. Auch der Anteil jener Kinder, die in den ersten sechs Lebensjahren krank waren oder Therapien besuchten, war unter ihnen hoch(vgl. Heyer u.a. 1990, 8. 43ff.).
Immer wieder wurden alle Eltern über die Ziele und die konkrete Pädagogik der gemeinsamen Unterrichtung informiert, wurden ihre Fragen und Einwände
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