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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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gingen, sich dort wohl fühlten und die Schule als etwas Positiv-besonderes er­lebten. Die Hälfte von ihnen gab an, nie oder selten ‚geärgert zu werden; die an­dere Hälfte berichtete, daß andere Kin­der sie zuweilen ‚ärgerten, d.h. schub­sten oder mit Ausdrücken bedachten. Nur einer gab an, als ‚Doofer von Kin­dern anderer Klassen auf dem Schulhof geärgert zu werden, keines der sinnes­oder körperbehinderten Kinder konnte sich an abfällige Äußerungen über ihre Behinderung erinnern.

Der insgesamt positive Eindruck der Gut­achtenkinder wurde von ihren Eltern, wie die Elternbefragungen ergaben, be­stätigt.

Zusammenfassend kann aus unseren mehrjährigen Untersuchungen festge­stellt werden: Für die Gutachtenkinder dieser wohnortnahen Integration kann zurückgewiesen werden, daß unter Be­dingungen integrativer Pädagogik schul­leistungsschwache, sinnes- und körper­behinderte Schülerinnen oder Schüler grundsätzlich oder auch nur überwiegend nicht sozial integriert sind auch am Nachmittag, daß sie Schulunlust entwik­kelten, soziale Zurückweisung erführen oder hohen Leidensdruck erlebten. Viel­mehr besteht weitgehende Zufriedenheit und Freude am Schulbesuch.

Diese Ergebnisse stehen damit in Über­einstimmung mit den Untersuchungen von Wocken& Antor(1987), Wocken, Antor& Hinz(1988) in Hamburg, Dum­ke, Krieger& Schäfer in Bonn(1989), Podlesch& Maikowski(1988) aus der Fläming-Schule in Berlin, jedoch im Widerspruch zu den schweizer Untersu­chungen von Häberlin, Bless& Klaghofer (1990), die vomMißerfolg bei der Be­mühung um sozial-emotionale Integra­tion von schulleistungsschwachen Schü­lern(s. 329) sprechen.

Allerdings beruhen Häberlins Ergebnisse auf Integrationsformen, die weitgehend durch reisende Ambulanzlehrer geprägt sind, die die besonderen Schüler aus dem Unterricht herausnehmen, um sie paral­lel zu fördern; über die ‚normale Un­terrichtssituation der regulären Lehrer kann die Studie keine Aussage treffen, hat sie auch systematisch nicht unter­sucht. In Anlehnung an Bächthold(1988) vermuten wir, und Häberlins Interpre­

tation weist in die selbe Richtung, daß die fehlende enge Verbindung der son­derpädagogischen Arbeit in Verbindung mit herkömmlichem Unterricht die schweizer Ergebnisse begründet und demgegenüber die enge Verbindung von grundschulpädagogischer und sonder­pädagogischer Förderung im Berliner Ansatz die positiven Ergebnisse be­stimmt.

6. Die sonderpädagogische integrative Arbeit

Mehr als der gute Wille der ersten Son­derpädagogen an der Uckermark-Grund­schule,so integrativ wie möglich zu arbeiten, stand zu Beginn nicht fest. Im­mer wieder gab es Papiere, Konferenzen, Kontroversen über die Art und Weise der(Mit)Arbeit der Sonderpädagogen, die volle Mitglieder der Schule waren. Den ‚Lehrer im weißen Kittel, der sagt, wo es langgeht, wollte keiner haben und keiner sein.

Nach Erprobung der verschiedenen An­sätze läßt sich bilanzieren(vgl. im ein­zelnen Heyer u.a. 1990, S. 154 ff.): ‚Das beste Konzept gibt es nicht. In jedem neuen Jahrgangsteam muß vielmehr ko­operativ mit allen Beteiligten die kon­krete Aufgabenzuweisung festgelegt wer­den. Dabei gab es durchaus einen all­mählichen Konsens über bestimmte Aufgaben der Sonderpädagogen: Un­streitig wurde, daß sie ‚zuständig sind für den Vorschlag eines Förderplans und für die Verantwortung, auf seine Durch­führung zu achten(nicht unbedingt da­für, ihn selbst in gänze selbst zu realisie­ren). Unstreitig wurde, daß Sonderpäd­agogen in kleinerem Umfang auch nor­malen Unterricht durchführen sollten (meist 36 Stunden); unstreitig auch, daß nicht nur die formal definierten Gutachtenkinder, sondern auch. andere ihre Unterstützung erhalten sollten, ja daß auf ‚Mischung so oft wie möglich auch beim spezifischen Fördervorhaben geachtet wird. Auch fand die Arbeit der Sonderpädagogen überwiegend innerhalb des Klassenraumes statt. Flur und Grup­penraum wurden von ihnen in gleicher Weise genutzt wie von den Klassenleh­rern.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1991

Hatten einzelne Sonderpädagogen spezi­fische Kompetenzen sprachheilpäd­agogische, verhaltenstherapeutische, aber auch beim Theaterspielen oder Musik­machen, dann konnten sie pro Woche klassenübergreifende Arbeitsgemein­schaften für mehrere Stunden anbieten. Auch Kollegen anderer Jahrgangsstufen machten natürlich in Beratungsgesprä­chen oder Hospitationen von dieser Kompetenz Gebrauch.

Strittig war, was geschehen sollte, wenn Sonder- und Grundschulpädagoge in Konfliktfällen unterschiedliche Haltun­gen einnahmen. Die Grundschulehrer(in­nen) pochten in der Regel auf ihrer Ge­neralverantwortung für die ganze Klasse, manche Sonderpädagogen auf ihrer ‚son­derpädagogischen Kompetenz und Zu­ständigkeit. Lösungen in Streitfällen konnten die wöchentlichen Planungs­sitzungen des Jahrgangs, von der Wis­senschaftlichen Begleitung einberufene Fallbesprechungen oder gar die Ge­samtkonferenzen liefern. Nur in einem Fall mußte sich die Schulleitung ent­schließen, die Sonderpädagogin in einer anderen Klassenstufe einzusetzen, da ein kooperatives Klima zwischen ihr und den übrigen Kolleginnen nicht mehr herstellbar war. Insgesamt war jedoch die Tatsache, daß die Sonderpädagogen ‚normale Lehrer mit allen Rechten und Pflichten waren(Aufsicht, Vertretungen, Ämter, Konferenzteilnahme usw.), wohl der Grund dafür, daß sie als gleichbe­rechtigt akzeptierte Kollegen tätig wa­ren. Das mag auch dadurch verstärkt wor­den sein, daß einzelne Sonderpädago­gen ein besonderes Faible für Theater-, Spiel- und Musikangebote entwickelten, die von Schülern wie Eltern und Kolle­gen begeistert aufgegriffen wurden, daß sie ähnliche Lebensalter und Lebensstile hatten wie die meisten des Kollegiums, und daß auch ihre gewerkschaftlich-bil­dungspolitische Orientierung sie nicht als Gruppe unterschied. So waren und sind sie ‚normale Lehrkräfte; die mei­sten Schüler wissen nicht, was ein ‚Son­derschullehrer ist und wer in der Schule solch eine Berufsbezeichnung hat.

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