(Schurad 1990, 191 Jeine scheinrationale Auseinandersetzung. Wenn man in das, was explizit als die Auffassung des Diskussionspartners ausgegeben wird, bereits bei der Darstellung etwas hineinlegt, was diese nicht enthält, dann ist eine nachfolgende Auseinandersetzung zwar möglich, aber sinnlos— es sei denn, man könnte Scheindiskussionen dieser Art irgendetwas abgewinnen, Dafür aber brauchte Schurad weder meinen Artikel noch meine Kritik. Insofern könnte mein Part, was das ‚2. Argument‘ und Schurads ‚2. Gegenargument‘ angeht, hier beendet sein. Andererseits ist es sicher für die aktuelle Ethikdebatte der Sonderpädagogik nützlich, die Gelegenheit zur Korrektur verbreiteter Mißverständnisse nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, denen nicht nur Schurad im Zusammenhang mit dem wertmäßig stark besetzten Personbegriff unterliegt. Dabei wird es sich nicht umgehen lassen, den relevanten philosophischen Kontext zumindest soweit klarzustellen, daß die Abwegigkeit von Schurads Kritik an der moralischen Bedeutung des Personbegriffs genügend deutlich wird.
Auch in diesem Teil seiner Entgegnung ist Schurad bemüht, die vermeintlich gegnerische Position so darzustellen, als bestehe deren wesentliches Ziel darin, eine„Argumentationshilfe für die Forderung auf Tötung z.B. auch schwerstgeistigbehinderter Menschen‘(Schurad 1990, S. 192) zu leisten,„damit(sie, C.A.) für die ethisch legitimierte Tötung freigegeben werden‘“ können. Schurad ist so sehr von seiner Tötungsidee eingenommen, daß er alles andere, was dazu nicht paßt, außerhalb jeglicher Betrachtung läßt. Wiederum übergeht er in diesem Zusammenhang völlig, daß bereits eine rationale Rechtfertigung zugunsten einer Erziehung Schwerstbehinderter auf der Grundlage der von ihm abgelehnten Position entwickelt worden ist, die mit seiner Tötungsidee einfach nicht auf einen Nenner zu bringen ist. Solche Deutungsfehler werden immer demjenigen unterlaufen, der sich auf eine bestimmte Konklusion fixiert, andere Schlußfolgerungen einer ethischen Position sowie insbesondere die sie begründenden Prämissen ignoriert. Es ist interessant, daß
Christoph Anstötz*
Schurad(1990, 192) selbst genau diesen Gesichtspunkt der Mißachtung des philosophischen Fundaments geltend macht, wenn er schreibt:„Von daher mutet die Verwendung des Personenbegriffs zur Kenntlichmachung des Menschlichen... schon recht fragwürdig an, wenn sie ihn unter Mißachtung des philosophischen Hintergrundes als willkürliches Werkzeug einer Extinktion des Menschlichen benutzt“. Dieses Zitat scheint mir eine ziemlich exakte Darstellung dessen zu enthalten, was Schurad selbst mit dem Begriff ‚Person‘ unter angeblicher Bezugnahme auf den Utilitarismus anstellt. Welche Rolle spielt der Personbegriff in dem utilitaristischen System wirklich, wie sieht der relevante philosophische Hintergrund aus, den Schurad nicht einmal in seinen Hauptbestandteilen berücksichtigt?
Es sind hier nicht religiös-weltanschauliche Positionen gemeint, die sich natürlich ebenso vertreten lassen, wie solche philosophischen Standpunkte, die in der Tradition der Aufklärung stehen, in unserem Falle der moralischen Aufklärung:„Für die moralische Aufklärung bzw. eine Moralphilosophie, die sich ihr verpflichtet fühlt, ist charakteristisch, auch hinsichtlich dessen, was die allermeisten für unbezweifelbar und evident halten mögen, Fragen aufzuwerfen‘‘(Hegegselmann 1990, 165):„Warum soll man eigentlich nicht töten? Warum soll man eigentlich Bedürftigen helfen? Warum soll man eigentlich Tiere essen dürfen? Solche ‚Warum soll man eigentlich...‘-Fragen... sind typisch für die Moralphilosophie und konstitutiv für eine Lebensform, die sich an der Idee der Aufklärung orientiert‘. So heißt es bei Hegselmann und Kliemt(1990, 144) unter Bezug auf die ‚Praktische Ethik‘ von Peter Singer, wo häufig die Frage nach Gründen für das Selbstverständliche gestellt wird.
Die mit solchen Fragen gegebene Herausforderung ist naturgemäß vor allem dort besonders groß, wo es um das Problem des Tötens geht, um das Schurads Überlegungen immer wieder kreisen, Die Fragen Singers und anderer Philosophen fangen hier beim Punkt Null an. Sie
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 2, 1991
Entgegnung auf die Stellungnahme von Schurad
sind einfach zu stellen und doch für viele schwer zu beantworten. Warum dürfen wir Tiere mästen, töten und essen, dagegen Menschen nicht? Die Antwort, daß es sich in einem Fall um Menschen, dagegen im anderen um Tiere handelt, kann nicht befriedigen. Denn das würde sofort die zweite Frage veranlassen, was denn der moralisch relevante Unterschied zwischen den Tieren und den Menschen sei. Einem Leben bloß deshalb den Vorrang zu geben, weil es unserer Spezies angehört, würde uns in die Lage des Rassisten bringen, der die Zugehörigkeit zur eigenen Rasse ohne Angabe moralisch relevanter Gründe als Privileg anerkannt haben will. Die Menschenrechtsdeklaration will solche Privilegien durch Artikel 2,(Verbot der Diskriminierung) verhindern. Singer, Tooley und andere machen im Grunde nichts anderes, Sie egalisieren mit Hilfe der Gleichheitsidee aber nicht nur die faktische Verschiedenartigkeit von Rasse, Geschlecht oder Abstammung. Sie egalisieren auch die Verschiedenartigkeit der Spezies auf unserer Erde. Damit, und das ist etwas ganz Entscheidendes und für unser intuitives moralisches Denken Ungewöhnliches, entfällt die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch als ethischer Bezugspunkt. So wie die Menschenrechte von-uns fordern, bei der Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse weder der Rasse, noch dem Geschlecht irgendeinen bonus oder malus einzuräumen, so fordert der Utilitarismus von uns darüber hinaus, bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse eines Lebewesens weder der Rasse, noch dem Geschlecht, noch auch der Spezies von vornherein irgendeine moralische Bedeutung zu geben. Interessen zählen als Interessen, um wessen Interessen es auch immer gehen mag. Da nun einmal die Interessen und Bedürfnisse in unserem Leben häufig verschieden sind, geht es bei einem Konflikt um eine gerechte, das heißt unparteiliche Interessenabwägung. Argumente, die sich ausschließlich„ad hominem“‘ (Schurad 1990, 193) beziehen, können also in einem solchen System nicht zählen, weil es keine moralisch relevanten Eigenschaften gibt, die sich nur und bei allen menschlichen Wesen finden las
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