Zu Ergebnissen
einer 8jährigen Längsschnittstudie bei lernbehinderten Kindern
Von Erich Kurth und Uwe Streibhardt
In einer 8jährigen Längsschnittstudie wurde ein Jahrgang(n=42 bzw. 93) lernbehinderter Schüler der Hilfsschule einer Bezirksstadt der früheren DDR im Alter zwischen 8 und 16 Jahren viermal mit 16 psychometrischen bzw. motometrischen Verfahren unter Einbeziehung von Elternexploration und Geburtsanamnese untersucht.
Im Hinblick auf die IQ-Werte sowie auch in anderen Leistungsbereichen waren im Verhältnis zu den Normwerten Anstiege nachweisbar. Die Problemlösungsverläufe lassen längere Orientierungs- und Lernphasen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe erkennen und sind vom IQ abhängig. Die BedingungsanaIysen weisen auf deutliche Zusammenhänge der geistigen Entwicklung mit der Existenz von bio-sozialen Belastungsfaktoren hin.
In an eight-year study a group(n= 42/93) of mentally retarded pupils in special schools of a formerly GDR district town aged between 8 and 16 years was tested four times with the help of 16 psychometric or motometric procedures in connection with enquiries of parents and birth anamnesis.
In relation to standard norms an increase was prived with regard to level and other fields as well. The outcome in relation to problem solving shows longer orientation and learning phases in comparison with a control group and depends on the conditions point to significant correlations between mental development and biosocial strain factors.
Als wir im Schuljahr 1980/81 mit unseren Untersuchungen an Rostocker Hilfsschulen(den Lernbehindertenschulen der Altbundesländer entsprechend) begannen, so geschah das aus mehreren Gründen: An unausgelesenen Stichproben dieser Schüler waren bisher nur selten psychometrische Daten erhoben worden— derartige Untersuchungen waren im Volksbildungswesen der früheren DDR wenig erwünscht. Uns interessierte von vornherein die Erfassung von Veränderungen als möglichem Ausdruck von Entwicklungen, die wir aus langjähriger Praxis hypothetisch erwarteten, während die vorherrschende zählebige Alltagsauffassung von einem, freilich durch defektologische Thesen gestützten, Primat biologischer Schäden ausging (siehe dazu auch die Auseinandersetzung bei Hustig 1991), die mit der Er
wartung verknüpft wurden, daß einmal getroffene Diagnosen einer„intellektuellen Schädigung“(schuloffizielle Bezeichnung der Lernbehinderung, die 1984 den Begriff„Schwachsinn‘“ ablöste) ausreichten, um eine langfristige und kaum rückgängig zu machende segregative Schullaufbahnentwicklung zu begründen.
Dementsprechend wollten wir auch den Einfluß biologischer(insbesondere geburtlicher) und sozialer Faktoren auf die Entwicklung bei Lernbehinderten empirisch klären— im Vergleich etwa zu der aus dem Rostocker Arbeitskreis bekannten Längsschnittuntersuchung bei Kindern mit überwiegend normaler geistiger Entwicklung(Meyer-Probst und Teichmann 1984; Piatkowski 1985). Längsschnittuntersuchungen bieten sich als ein sehr geeignetes Untersuchungs
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII; Heft 3, 1991
design zur Erfassung von Entwicklungsphänomenen(Helmreich 1977) an, sind jedoch aufwendig, weshalb sich die Anzahl derartiger Projekte, insbesondere bei lernbehinderten Schülern, sehr in Grenzen hält, deren Vergleichbarkeit noch dazu durch methodische Probleme oftmals beeinträchtigt wird(wie z.B. unterschiedliche Altersgruppen und Abstände bei der Nachuntersuchung, die Verwendung anderer Untersuchungsverfahren bei der 1. und 2. Erhebung oder das Ausgehen von ausgelesenen Stichproben). Querschnittsuntersuchungen erscheinen aber demgegenüber noch unsicherer, insbesondere wenn sie sich nur auf Intelligenztests stützen. Deren Anwendung erscheint uns aber z.B. dann sinnvoll, wenn sie bei wiederholtem Einsatz und eingebettet in eine umfassende Diagnostik über den Status hinaus zu Aussagen über Ent
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