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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Norbert Barth*

Handlung als Grundlage der geistigen Entwicklung

kameras aufgezeichnet. Diese Technik ist vorzüglich zur Beobachtung und zur wiederholten Kontrolle des Beobachte­ten geeignet. Sie leistet mehr als eine teil­nehmende Beobachtung eines Untersu­chers erfassen könnte, schon weil die Videokameras aus verschiedenen Per­spektiven gleichzeitig aufnehmen und besonders wichtige Szenen beliebig oft beobachtbar sind. Diese Technik erlaubt es auch, ein Kategoriensystem der Beob­achtung im nachhinein zu erstellen.

Die vorverbale geistige Entwicklung auf der ersten Informationsstufe soll an zwei Zielgruppen erfaßt werden. Einmal an einer Gruppe von Kleinstkindern zwi­schen 1;0 und 1;6 Jahren. Für diese Gruppe ist es natürlich erforderlich, spezielle Problemaufgaben zu konstru­ieren. Das Kleinstkind steht z.B. vor der Aufgabe, wie schon bei Radigk erwähnt, eine Spielzeugente, die sich außerhalb seines Laufställchens befindet und die es nicht mit der Hand erreichen kann, durch Werkzeuggebrauch oder durch Umwegverhalten dennoch zu erreichen. Oder es könnte sich das Problem auch zueigen machen(z.B. innerhalb einer Kinderspielgruppe) einen Höhenunter­schied zu überwinden(etwa auf einen Tisch zu klettern), wofür natürlich ge­eignete Materialien im Zimmer verfüg­bar sind.

Das Hauptinteresse bei der Untersu­chung dieser Gruppe besteht darin, spätere Schwierigkeiten auf den höhe­ren Informationsstufen rechtzeitig und vorbeugend zu erfassen.

Eine zweite Altersgruppe besteht aus fünf bis sieben Jahre alten Kindern, die also bereits über Sprache verfügen. Es wäre bedeutsam, herauszufinden, ob Störungen auf der ersten Informations­stufe der geistigen Entwicklung auch noch in diesem späteren Entwicklungs­stadium, trotz der angeführten Schwie­rigkeiten, hinreichend gültig zu erfas­sen sind, so daß daraus wirksame Kon­sequenzen für aktuelle Lernschwierig­keiten abgeleitet werden können.

Es ist zu erwarten, daß zumindest in der Gruppe der Kleinstkinder geistige Lei­stungen auf der vorverbalen Stufe der ersten Kodierung(eine andere Bezeich­

Aus einem Videoband von Huflage und Freund(1987).

nung für erste Informationsstufe) relativ rein erfaßbar sind. Ob dies auch in der Gruppe der Fünf- bis Siebenjährigen in einer Weise zu erreichen ist, die noch für diagnostische Hinweise aussagekräf­tig ist, bleibt zu prüfen. Ich erwarte auch aus der Gegenüberstellung der In­formationen aus beiden Altersgruppen einen Hinweis, eine Kreuzvalidierung, wie sehr die Erfassung vorverbaler gei­stiger Leistung möglich und übertrag­bar ist auf ältere Jahrgänge. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Lei­stungen von der Struktur her und durch andere Problemlöseaufgaben nicht ohne weiteres vergleichbar sind.

Ausgangspunkt dieser Untersuchungen war die Erfahrung, daß viele Schüler(LB oder PB) auf der Stufe des gegenständli­chen Handelns versagen. Wenn sie z.B. eine Konstruktionsaufgabe nach einem Baukasten der Fischer-Technik oder nach dem KonzeptLearning by Doing(von Walter Mac Donald u. Francine Blum­berg, 1988) vorgelegt bekommen, dann machen die Schüler zwar etwas mit dem Material, aber das geschieht sehr oft in einer sinnlosen Folge, und man merkt, die Schüler handeln nicht überlegt. Wir müssen also die geistigen Operationen provozieren und entwickeln, die der Handlung zugrundeliegen. Erstes Ziel auf diesem Weg ist, herauszufinden, welche geistigen Operationen auf der Grundlage der Informationsstufentheo­rie und der Ausführungen von Radigk über die psychischen Grundleistungen

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991

hier wichtig sind und welche sich in der praktischen Problemlösesituation als tragend für die geistige Leistung und für die Lösung des Problems erweisen. Das läßt sich natürlich nur indirekt und

durch Beobachtung der Handlung errei­chen. So sind anhand der Videoaufnah­men beim erfolgreichen Zusammenbau des Eisenbahnzuges z.B. die Leistungen Orientierung, Analyse und Synthese nach Pawlow bzw. die systematischen Leistun­gen Klassifikation und Sereation(syste­matisches Vorsortieren) nach Piaget fest­zustellen. Wir gewinnen entscheidende Einblicke in die wesentlichen geistigen Leistungen, die den Prozeß der Vor­phase der Handlungsausführung bestim­men, wenn wir erfolgreiche und erfolg­lose Schüler beim Lösen dieser kom­plexen Handlungsaufgaben miteinander vergleichen.

Dazu bedienen wir uns der Videorekor­dertechnik, die zu diesem Zweck vorzüg­lich geeignet ist. Für die optimale Aus­wertung der Videoaufzeichnungen ist es erforderlich, ein aussagekräftiges, mög­lichst objektiv handhabbares Katego­riensystem zu erstellen. Es lassen sich aber jetzt schon bedeutsame Momente der Beobachtung feststellen:

Das ist einmal das Ordnungsverhalten. Dies betrifft die schon erwähnte Serea­tion, die Klassifikation, die zeitliche, funktionale und logische Sortierung; zum anderen das Korrekturverhalten. Das bedeutet, ob das Kind aus seinen Fehlern lernen kann, und schließlich

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