Norbert Barth
Handlung als Grundlage der geistigen Entwicklung
das Transferverhalten. Damit ist die sinnentsprechende Übertragung von Erfahrungen auf einen neuen Gegenstand gemeint.
Die praktische Bedeutung der theoretischen Erkenntnisse
Die Bedeutung der Diagnose auf der ersten Informationsstufe wurde bereits mehrfach als grundlegende Erkenntnis über die geistige Entwicklung und über die Lernentwicklung unterstrichen. So lautet eine wesentliche Erkenntnis aus der Kommunikationstheorie, daß sich die höheren Leistungen, etwa der Spracherwerb, nicht ausreichend ent
wickeln können, wenn die niederen Leistungen gestört sind. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, die Forschung auf diesem Gebiet der ersten Informationsstufe voranzutreiben.
Es geht hier jedoch nicht nur um eine theoretisch bedeutsame Fragestellung, sondern auch um eine nutzbringende Umsetzung in die pädagogische Praxis. Wenn es gelingt, gültige Hinweise für Behinderungen auf der Stufe der sinnlichen Erfahrung und konkreten Handlung zu bekommen, dann erscheint es zumindest bei frühzeitiger Diagnose möglich, durch gezielte pädagogische Fördermaßnahmen diese Behinderungen zu überwinden und Folgeschwächen beim Erwerb der Laut- und Schriftsprache entgegenzuwirken. Aber auch
in der Gruppe der Fünf- bis Siebenjährigen ist es möglich, die bislang übliche Didaktik beim Lesen- und Schreibenlernen wesentlich zu verbessern, wenn die Ursachen für Lernschwierigkeiten auf diesem Gebiet aufgedeckt werden können. Sind Behinderungen in der geistigen Entwicklung auf der ersten Informationsstufe als Ursachen ermittelt, so ist es entwicklungspsychologisch sinnvoll, den Schüler auf der grundlegenden Vorstufe der konkreten Handlung zu fördern, statt ihn direkt auf höherem Niveau mit Lese- und Schreibtrainings zu traktieren. Dieser für die geistige Entwicklung angemessenere Ansatz könnte die Didaktik des Lesen- und Schreibenlernens grundlegend verbessern.
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Anschrift des Verfassers:
Dr. Norbert Barth
Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung Schloßstraße 29
D-6000 Frankfurt a.M. 90
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164 HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991