Gerhard W. Lauth*
Entwicklungsförderung bei sozial-kognitiver Retardierung
petenz zusammengefaßt werden. Damit wird angesprochen, daß dem Lernenden seine eigenen kognitiven Prozesse bewußt sind und er gleichzeitig Kontrolle über sein Handeln(z.B. Prüfprozesse, Zielsteuerung etc.) ausübt.
Bereits qualitative Analysen zum Problemlöseverhalten lernbehinderter Kinder belegen einen deutlichen Mangel an solchen internen(metakognitiver) Vermittlungen. Ihr Lösungsverhalten wird insgesamt nur in geringem Ausmaß metakognitiv begleitet; dies zeigt sich beispielsweise darin, daß ihre Kontrollaktivitäten auf wenige Teilaspekte der Gesamthandlung eingeschränkt sind bzw. gänzlich fehlen(vgl. Schröder, 1983).
Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des strategisch-metakognitiven Handelns ist die Auseinandersetzung lernbehinderter Kinder mit den Aufgaben aus dem Bonner Aufmerksamkeitstest(BAUT). Hier verglichen Schröder und Neukäter (1991) Sonder- und Grundschüler in ihren Leistungsergebnissen und ihrem Lösungsverhalten.
Dieser von Wagner(1980) entwickelte Test besteht aus 15 Bildvorlagen, wobei aus jeweils 6 Bildern das mit dem Referenzbild identische zu bestimmen ist; ermittelt wird die Gesamtzeit der richtigen Lösungen und die individuelle Durchführungszeit. Im Ergebnis fällt zunächst auf, daß die Lernbehinderten im Durchschnitt nur gut die Hälfte der Punktzahl der Grundschüler erreichen. Sie nehmen sich auch erheblich weniger Zeit für ihre Lösungsfindung und sind im Durchschnitt rund 6 Minuten eher mit dem Gesamttest fertig. Ihnen gelingt also, wie das Leistungsergebnis ausweist, das planvolle und genau kontrollierte Vergleichen der dargebotenen Figuren nur sehr beschränkt; dennoch versuchen sie nicht, diesen Mangel durch einen erhöhten Aufwand an Lösungsbemühungen wettzumachen, Insofern Planen, Überwachen, Kontrollieren Zeit kosten, weist dieses Ergebnis auf einen Mangel an metakognitiven Prozessen hin. Dies wird vor allem nochmals daran deutlich, daß die Sonderschüler ihre Lösungen in einem naheliegenden Antwortbereich suchen und besonders häufig Bilder aus der oberen Antwortreihe als die ‚richtigen‘ auswählen. Sie nutzen das Antwortspektrum nicht voll aus und folgen mithin nicht einer Strategie, die mit der Strategie„Entscheide dich erst für eines
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der Bilder, wenn du alle sechs durchgeprüft hast!‘‘ zu umschreiben ist.
Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung metakognitiver Strategieanwendung lernbehinderter Schüler liefert eine vergleichende Untersuchung von Perleth, Schuker und Hubel(1991).
Sie verglichen zunächst lernbehinderte Sonderschüler mit Regelschülern in ihren Gedächtnisleistungen(Sort-Recall-Aufgabe); dabei schnitten die Sonderschüler im Bereich des Metagedächtnisses deutlich schlechter ab als Regelschüler. Gleichzeitig konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen Strategieeinsatz und Gedächtnisleistung bei den Schülern mit Lernbehinderungen nachgewiesen werden, Anschließend trainierten die Autoren 9 Sonderschüler im Gebrauch von Gedächtnisstrategien und in der Verbesserung des Metagedächtnisses; 9 weitere Sonderschüler blieben als Kontrollgruppe ohne Förderung. Es zeigte sich, daß das Gedächtnistraining zu einer erheblichen Steigerung des Strategieeinsatzes und der Gedächtnisleistung führte. Die trainierten Sonderschüler organisierten das zu lernende Material nicht nur besser als die Kontrollgruppe, sondern auch in höherem Umfang als die Regelschüler.
In einer Interventionsstudie zur Vermittlung metakognitiver Kompetenzen bei Lernbehinderten(Lauth, im Druck) wird ebenfalls zunächst ein erheblicher Mangel an metakognitiv-strategischen Vermittlungen nachgewiesen. Kennzeichnend hierfür ist, daß sich die Kinder in Zuordnungsaufgaben wenig Zeit nehmen, sie nur vergleichsweise wenige Antwortalternativen berücksichtigen, eher stereotype Antworttendenzen besitzen und ihre Antworten ‚„„Zufälliger‘‘ zu sein scheinen. Ein spezifisches metakognitives Training, das mit diesen Kindern durchgeführt wird, resultiert jedoch in einer deutlich verbesserten Handlungsorganisation und Handlungssteuerung: Kennzeichnend dafür sind die Fortschritte in bezug auf eine deutlich erhöhte Antwortlatenz(Verzögerung der Antwort) in den Zuordnungsaufgaben, ein Anstieg des Intelligenzstatus um etwa 11 Punkte, einem größeren Wissen um förderliche Handlungsstrategien(Strategiewissen) und einer leicht günstigeren metakognitiven Handlungsvermittlung.
Mithin belegen solche Ergebnisse, daß für eine Lernbehinderung nicht ausschließlich prinzipielle Defizite(z.B. mangelnde Speicherkapazität, Wahrnehmungsstörung, Teilleistungsstörungen)
verantwortlich sind. Vielmehr gibt es auch strategische Momente im Lernverhalten, die die Lernstörung begünstigen. Diese bestehen darin, daß Lernbehinderte den Anforderungsbereich bzw. das anstehende Problem in geringerem Maße überblicken, das Problem seltener analysieren, sich weniger Rechenschaft über die Ziele ihres Handelns geben, weniger interne Kontrolle ausüben bzw. ihre Kontrollaktivitäten auf nur wenige, isolierte Momente im Lösungsverlauf richten und deshalb auch in geringerem Maße feststellen, ob ihr Handeln noch mit den Zielsetzungen übereinstimmt. Dadurch leiten sie auch seltener förderliche Verhaltensweisen ab. Insgesamt bedeutet dies, daß Lernbehinderte ihr strategisches Handeln auch kaum weiterentwickeln und kumulative Defizite entstehen(vgl. Lauth, 1987). Ferner schränkt der Mangel an metakognitiver Einflußnahme auch vorausschauende Planungen ein und begünstigt ein Verhalten, das weniger der Zielerreichung als dem Umgehen von Handlungsschwierigkeiten dient: z.B. raten, kaspern, unrealistisch hohes Anspruchsniveau, Abbruch der Lernhandlung.
Geringeres Generalisierungsvermögen
Für Lernbehinderte wird oft ein im Vergleich zu Unauffälligen geringeres Generalisierungsvermögen nachgewiesen(vgl. Brown& Campione, 1977; McLeskey, Rieth& Polsgrove, 1980). Sie entnehmen den Lernangeboten offensichtlich in eingeschränkterem Umfang die verallgemeinerbaren Informationen und Erfahrungen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die folgende Untersuchung:
Lernbehinderte und Normalschüler bearbeiten den gleichen Intelligenztest zweimal im Abstand von mehreren Wochen. Es zeigt sich, daß die Normalschüler beim zweiten Durchgang signifikante Leistungsverbesserungen erreichen, die Lernbehinderten dagegen nicht(Lauth & Wiedl, 1985). Dieses Ergebnis ist darauf zurückzuführen, daß die Normalschüler aus ihrer ersten Testbearbeitung erfolgreiche Vorgehensweisen ableiten und bei der zweiten Untersuchung auch umsetzen. Die lernbehinderten Son
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991