Gerhard W. Lauth*
Entwicklungsförderung bei sozial-kognitiver Retardierung
derschüler benötigen dagegen die planmäßige Vermittlung leitungsoptimierender Vorgehensweisen, um in der zweiten Testung eine Steigerung zu erzielen.
Jedoch können diesen Kindern durch geeignete Förderprogramme Kompetenzen, die ihr Generalisierungsvermögen Verbessern, vermittelt werden.
So vermittelten Brown, Campione& Barclay(1977) retardierten Kindern im Alter von 6—8 Jahren Selbstüberprüfungsstrategien beim Erlernen von Wortlisten. Die älteren Kinder(ab Intelligenzalter 8 Jahre) übertrugen das Vorgehen auch auf strukturähnliche Aufgaben(Wiedererzählen von Prosapassagen) und waren einer Kontrollgrupppe, die keine derartigen Erinnerungsstrategien erlernt hatte, auch noch nach einem Jahr überlegen: Sie überprüften ihr Verhalten häufiger, nahmen sich mehr Zeit zum Einüben, erinnerten sich an mehr Ideen des Lesetextes und wiesen in ihrer Erinnerung eine klarere, textanalogere Strukturierung auf— ähnlich wie fortgeschrittene oder ältere Schüler.
In einem klassenanalogen Versuch haben wir lernbehinderten Kindern über 4 Unterrichtstunden metakognitive Prozesse vermittelt(Garten& Lauth, 1982). Dabei demonstrierte der Lehrer, wie man an Aufgaben herangeht und dabei einer Problemlösestruktur folgt. Im Endergebnis waren diese Kinder einer Gruppe vergleichbarer Kinder, die anhand des entdeckenden Lernens unterrichtet wurden, in der erreichten Generalisierung überlegen und lösten allgemeine Problemlöseaufgaben in einem Transfertest besser. Offensichtlich übertrugen sie ihr Vorgehen, das sie zunächst beim Erwerb schulischen Wissens erlernt hatten, auf die allgemeinen Problemlösungsaufgaben.
Die Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß die Lerngestörten generalisierungsfördernde Strategien nicht selbst entwikkeln, sondern ihnen solche Strategien systematisch vermittelt werden müssen, um eine Übertragung des Gelernten auf „natürliche“ Situationen oder auf nicht geübte Anforderungen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Die Erfahrungen aus diesen Interventionsstudien zeigen, daß die zunächst mangelnde Generalisierung nicht aus einer prinzipiellen Unfähigkeit resultiert, sondern als Folge der Nichtanwendung bestimmter Strategien(Herauslösen wesentlicher Informationen, aktiver Umgang mit dem Lernangebot, Bildung von Oberbegriffen, Abstrahierung der Erfahrung in Form einer Regel)
zu beurteilen ist(Lauth, 1983a). Die mangelnde Generalisierung ist also auch als Folge der Handlungsorganisation dieser Kinder und ihrer mangelnden metakognitiv-strategischen Entwicklung auszuweisen.
Lückenhafte Basisfertigkeiten
Die dargestellten Strategiedefizite und Mängel im metakognitiven Bereich gehen notwendigerweise mit unzureichend beherrschten Basisfertigkeiten einher. Dazu zählen beispielsweise: genau zuhören können, genau hinsehen können, visuelle und akustische Reize systematisch vergleichen, Wesentliches von Unwesentlichem instruktionsgerecht unterscheiden, über grundlegende Rechenoperationen und elementare Lesefertigkeiten verfügen etc.
Die mangelnde Beherrschung solcher Grundfertigkeiten verdichtet sich zu Handlungsmustern folgender Art: Unzureichend ausgebildete bzw. lückenhafte Basisfertigkeiten beeinträchtigen zunächst unmittelbar die Informationsaufnahme und-verarbeitung beim Lernen (z.B. Aufgabenstellung, Zielsetzung, Ausgangspunkt des Lernens). Sie führen zu unzutreffenden—Verallgemeinerungen und fehlerhaftem Vorgehen(z.B. systematische Mißverständnisse, Meidungsverhalten).
Damit sind die Basisfertigkeiten eine wichtige Voraussetzung für die Ableitung grundlegender— oft strategischer— Vorgehensweisen. Beim Fehlen solcher Basisfertigkeiten wird die Ausbildung übergreifender Verfahrensregeln erschwert, denn der Handelnde ist so sehr mit den Details seiner Tätigkeit beschäftigt, daß er kaum auf eine metakognitive Ebene gelangt(z.B. strukturierendes deklaratives Wissen über Aufgaben und kognitive Operationen erwirbt). Dies führt zur Informationsüberlastung, die wiederum die Ausbildung der Basisfertigkeiten weiter beeinträchtigt.
Mängel dieser Art mit den beschriebenen Konsequenzen sind beispielsweise bei Legasthenikern, Lernschwachen, Lernbehinderten und Geistigbehinderten konsistent zu beobachten.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991
Unzureichendes bereichsspezifisches Wissen
Angemessenes Handeln setzt neben strategisch-verfahrensbezogenen Handlungsstrukturen auch Wissen über den jeweiligen Inhaltsbereich voraus, in dem das Problem angesiedelt ist. Dieses bereichsspezifische Wissen ist wesentlich daran beteiligt, Informationen einzuordnen, zu verarbeiten sowie Problemräume zu bestimmen und Lösungsstrategien zu entwickeln(Neber, 1987). So zeigen Kluwe & Misiak(1984) in umfangreichen Einzelstudien, daß allein der wiederholte Umgang mit inhaltsähnlichen Problemen die Problemlösefähigkeit verbessert. Dies liegt u.a. daran, daß die Kinder Wissen über einen bestimmten Inhaltsbereich erwerben und das zu lösende Problem auf einem höheren, integrativen Niveau abbilden. Das so integrierte bereichsspezifische Wissen dient dann als System für die Einordnung von Informationen und die Entscheidungsfindung, so daß die Problemlösefähigkeit insgesamt verbessert wird. Damit ist Problemlösen bzw. Lernen auch als wissensabhängiger Prozeß der Ordnungsbildung und Ordnungsnutzung zu interpretieren.
Für schulische Lernschwierigkeiten ist belegt, daß sie eindeutig mit mangelnden Vorkenntnissen einhergehen. Vorkenntnisse als der beste Einzelprädiktor hierfür klären etwa 50% der Varianz der Schulleistung auf(Zielinski, 1980, S. 125). Für das bereichsspezifische Wissen von Lernbehinderten gilt als gesichert, daß sie von einer reduzierten Lernbasis aus operieren— ihnen also notwendige Konzepte und Ankerbegriffe fehlen, um neue Lernerfahrung zu integrieren oder förderliche Lernstrategien abzuleiten.
Lauth und Wiedl(1985) zeigten in einer Studie zum Instruktionsverständnis 9 bis 13-jähriger lernbehinderter Sonderschüler, daß z.B. die Begriffe„rechts/links‘‘ oder„Dreieck/Viereck‘“ der Mehrzahl von ihnen nicht bekannt war.
In einem besonders krassen Fallbeispiel zeigte sich, daß ein lernbehindertes Kind auch nach 4-jährigem Grund- und Sonderschulbesuch die Mehrzahl der Buchstaben des Alphabetes nicht beherrschte, ohne daß diese Tatsache im Unterricht
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