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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Reimer Kornmann

Veränderungen des Gegenstandsbezugs

mm

Tab. 4: Spieltätigkeit(symbolische Tätigkeit)

Beschreibung

Die Kinder können in der Rolle anderer Per­sonen agieren, indem sie deren charakteristische Verhaltensmerkmale und äußere Attribute in symbolischer Form über­nehmen(Rollenspiel, Verkleidungen usw.). Ebenso können sie Objekte symbolisch verwenden, indem sie mit diesen gegenständ­liche Tätigkeiten simulieren. Die Kinder orientieren sich bei ihren Tätigkeiten also nicht mehr nur an

direkt wahrnehmbaren äußeren Merkmalen, sondern an den damit verbundenen Rollen und Funktionen.

Lern- und Erfahrungs­möglichkeiten

Die Kinder lernen, zwi­schen zwei Formen der Realität zu unterschei­den: einer konkreten, in welcher die Tätigkeiten erfahrbare Konsequen­zen haben, und einer imaginierten, in welcher die Handlungendurch­gespielt werden. Sie erwerben damit ein autonomes System zur Planung und Kontrolle eigener Handlungen, also Voraussetzungen für Selbständigkeit und Autonomie des Handelns.

Organische Voraussetzungen

Bei störungsfreier Ent­wicklung in den vorauf­gegangenen Tätigkeitsfor­men ist es zum Aufbau funktioneller Hirn­systeme gekommen. Ihre Existenz ist Vor­aussetzung für die Mög­lichkeit, verschiedene Akteure und Formen von Tätigkeiten unab­hängig von deren zeit­licher und räumlicher Präsenz miteinander zu vernetzen.

Soziale Voraussetzungen

Notwendig ist eine möglichst große Zurück­haltung der Bezugsper­sonen, die Tätigkeiten der Kinder im Sinne der Her­stellung eines konkreten Realitätsbezugs regulie­ren und einschränken zu wollen. Gezielte Pro­gramme zur Förderung von Kreativität und Phantasie dürften weniger sinnvoll sein als Versuche, die Lernmöglichkeiten

in den vorangegangenen Stufen voll auszuschöp­fen.

Schädliche Folgen

Durch die fehlende Ver­fügbarkeit von Symbolen wird das Handeln einge­schränkt auf die räumliche und zeitliche Präsenz kon­kreter Handlungsimpulse. Freie, autonome Planungen der Formen und Inhalte des Handelns(= Selbstän­digkeit) sind dann nicht möglich.

Tab. 5: Lerntätigkeit

Beschreibung

Es handelt sich um einen in mehrfacher Hinsicht gesellschaftlich vermit­telten Prozeß: Innerhalb eines institutionellen Rahmens(Schule) erwer­ben die Kinder vergesell­schaftete Symbole für die Verbalsprache und somit für deren Inhalt(Schrift­sprache) und für formale Operationen(Mathema­tik). Dies ermöglicht ihnen ihr Wissen über solche Sachverhalte (Gegenstände, Personen, Ereignisse) zu erweitern, die der unmittelbaren Erfahrung nicht zugäng­lich sind, aber zum Erfahrungsbestand ihrer Gesellschaft gehören.

Lern- und Erfahrungs­möglichkeiten

Das mit der Spieltätig­keit sich entwickelnde System zur selbständi­gen Planung und Kon­trolle eigener Tätigkei­

ten wird den Kindern als

deklaratives(oder lexikalisches) Wissen (epistemische Struktur) und als prozedurales (oder operatives) Wissen(heuristische Struktur) bewußt: Damit erwerben sie

ein Wissen über ihr Wissen und über die Formen und Inhalte ihres Lernens(Meta­kognitionen):Ich weiß, was ich weiß bzw.ich weiß, wie ich was erfahren kann.

Schädigungen in den vorangegangenen Stufen müssen kompensiert sein. Später auftretende Schädigungen vor allem des ZNS sowie des Ge­sichts- und Gehörsinns können den systemati­schen Wissensaufbau

je nach Art und Schweregrad ganz oder teilweise, dauer­haft oder vorüberge­hend erschweren.

Organische Soziale Voraussetzungen Voraussetzungen

Der ungehinderte Aufbau systematischen Wissens ist gebunden an die Mög­lichkeit uneingeschränkter Partizipation an den in einer jeden Gesellschaft bestehenden Lerngelegen­heiten und deren best­mögliche Abstimmung auf die individuellen Lernvoraussetzungen.

Schädliche Folgen

Die mangelnde Teilhabe

an dem gesellschaftlichen Erfahrungsgut reduziert längerfristig die Möglich­keiten, Einfluß auf die eigenen Lebensbedingungen zu nehmen, führt zu einsei­tiger Abhängigkeit von an­deren Menschen, vergrößert damit die Wahrscheinlich­keit, ungünstigen Lebens­bedingungen ausgesetzt zu werden, was wiederum physische und psychische Schädigungen nach sich ziehen kann.

legende Code ist die Verbalsprache. Sie bildet sich im Zusammenhang mit der gegenständlichen Tätigkeit heraus. Mit der Verwendung von Symbolen kann die Tätigkeit aus der Gebundenheit an die konkrete räumliche und zeitliche Existenz der Objekte gelöst werden, d.h. die Objekte lassen sich dekontextualisie­ren(Oerter, 1988). Die Dekontextuali­

sierung ist ein wesentliches Merkmal der nächst höheren Stufe des Tätigkeits­niveaus.

4. In der tätigkeitstheoretisch orientier­ten Literatur werden unter Spieltätig­keit(vgl. Tab. 4) nur solche Formen des Spielens verstanden, in denen die we­sentlichen Elemente der gegenständli­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991

chen Tätigkeit enthalten sind also nicht das Funktionsspiel oder sensumo­torische Spiel, nicht das Informations­und Explorationsspiel, wohl aber Kon­struktions-, Symbol-, Fiktions-, Rollen­und Regelspiele(Oerter, 1987, S. 217 f). Entscheidend ist hierbeidas so Tun als ob. Daher wird diese Stufe auch als symbolische Tätigkeit bezeichnet.

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