Friedrich Masendorf& Gustav A. Lienert*
Rehabilitationstypologien
genteil: Die lernbehinderten Schüler äußern weniger Prüfungsangst, mehr Selbstwertgefühl und zeigen ein ausgeglicheneres und günstigeres Arbeitsverhalten in der Sonderschule für Lernbehinderte(SfL) gegenüber dem Verbleib in der Hauptschule.
Tent et al.(1991) interpretieren den ersten Befund als„Mitzieheffekt‘“(die besseren Schüler in der Regelschule spornen die schwachen an); den zweiten Befund demgegenüber als„Schonraumeffekt“ der SfL. Letzterer komme daher, daß in der SfL die Kinder nicht länger dem ständigen Leistungsdruck der Regelschule ausgesetzt seien, den sie nicht erfüllen können.
Zu ähnlichen Aussagen kommt auch Haeberlin(1991) in einer schweizer Studie. Er fand Netto-Unterschiede zwischen den Organisationsformen„Integrationsklasse mit Stützunterricht‘‘, „separierte Sonderklasse‘‘ und„Regelklasse ohne spezifische Hilfe im Sinne des o.a. ‚„Mitzieh- versus Schonraumeffekts“.
Die Unvereinbarkeit dieser Aussagen (hier Mitzieh-, dort Schonraumeffekt) lassen nach Tent et al.(1991) vorschnelle alternative Konsequenzen der einen oder anderen Art zur Lernortfrage und-entscheidung wiedersinnig erscheinen.
Zur Frage der Lernförderung
Sinn machte es eher, sich unabhängig von der Auseinandersetzung„Regelbeschulung versus separierte Sonderbeschulung‘“ den Vorgängen der pädagogischen Förderung im engeren Sinne verstärkt zuzuwenden. Sowohl in den Richtlinien der Regelschulen(Grundschulen), als auch in denen der Sonderschulen werden von den Kultusbehörden verbindliche Aussagen zur Förderung lernbehinderter Kinder gemacht. Auf die Texte dieser Aussagen soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; stattdessen aber auf Möglichkeiten, ob und inwieweit sie nutzbar gemacht bzw. genutzt werden können.
So zeigte sich u.a. in einem didaktischen Feldexperiment mit N=673 von Lernbe
hinderung bedrohten Kindern in zweiten Grundschulklassen, daß hinsichtlich der Effizienz des erlaßmäßig vorgeschriebenen zweistündigen Förderunterrichts pro Woche für den evaluierten Zeitraum eines halben Jahres die Fördergruppen den Kontrollgruppen leistungsmäßig nicht überlegen waren(Roeder& Masendorf 1980). Dies ist pädagogisch insofern enttäuschend, als der Förderunterricht der Regelschule, so wie er unter den Bedingungen. des schulischen Alltags durchgeführt wird, flächendeckend kaum die an ihn geknüpften Erwartungen erfüllt. Zusätzlich spielte noch ein enttäuschender differentieller Lehrmaterialeffekt eine Rolle dahingehend, daß Kinder mit schwerwiegenden Leistungsausfällen insbesondere mit Materialien übenden Charakters nicht zurechtkommen, d.h. deutlich unter den Erfolgen parallelisierter Kontrollgruppen liegen. Für die genannten Befunde schien es u.a. von Bedeutung zu sein, daß die 73 an obiger Untersuchung beteiligten Förderlehrer sich an die von den Verlagen empfohlenen Durchführungsvorschriften der benutzten Unterrichtsmaterialien hielten, was am ehesten der flächendeckenden Normalsituation entspricht. Dies scheint jedoch für einen erfolgreichen rehabilitierenden Förderunterricht bei weitem nicht auszureichen. Dieser sollte— eingedenk einer lernortübergreifenden Ausrichtung— sich vorwiegend auf die gestörten Lernprozesse und beeinträchtigten Funktionen angesichts überlebenswichtiger Leistungen der Betroffenen konzentrieren. Als Lernförderung bzw. Lernkompetenzförderung muß Förderunterricht, wenn er auf Rehabilitation ausgerichtet ist, vor allem die Verbesserung von Personmerkmalen und Fähigkeiten Behinderter zum Ziel haben. Hierbei steht die mentale Verbesserung, die kognitiv abläuft und mit emotionalen Prozessen einhergeht, im Vordergrund. Um rehabilitierende Förderung zu verbessern und zu optimieren, läßt sich an bewährten Forschungstraditionen anknüpfen, wie — der Erforschung von Sozialisationsbedingungen im Lehrer-Schüler-Verhältnis,
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1991
— der Gedächtnisforschung einschließlich der des produktiven und reproduktiven Denkens,
— der neueren Kognitionsforschung unter Einbeziehung von Strategien zur internen Handlungssteuerung,
— der Transferforschung unter Verwendung der Vielfalt von Evaluationsformen des Lernens, um nur einige Traditionen zu nennen,
Präskriptiv-pädagogische Rehabilitationstypologien zur Optimierung von Lernförderung als Rehabilitationsprinzip
Handlungsleitende Einstellungstypologien bei Lehrern
Bereits Kratzsch(1984) richtete sein Augenmerk auf spezielle Bedingungen in der Lehrer-Schüler-Interaktion bzw. des Lehrerverhaltens, die für die Leistungsverbesserung bei lernbeeinträchtigten Kindern eine zentrale Rolle spielen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ja der Klassenlehrer— unabhängig von der Schulform— meist selbst auch Förderunterricht durchführt. In diesem Zusammenhang ist zum Begriff einer empirisch abgesicherten bzw. abzusichernden Lehrer-Typologie mit Rehabilitationsanspruch zu sagen, daß sie im Sinne präskriptiv-heilpädagogischer Theorienbildung durchaus praktischen Nutzen hat. So ermittelte Kratzsch(1984) unter Grundschullehrern zunächst deskriptiv „Lehrertypen‘“, die er dann in einem zweiten Schritt im Hinblick auf Erfolg und Mißerfolg des Förderns bei leistungsschwachen Grundschülern in Beziehung setzte. Diese Lehrertypen lassen sich durchaus als„positive resp. negative Rehabilitationstypen“ interpretieren. Mit Hilfe des Problemfragebogens für Schule und Unterricht(Lasogga 1983), in dessen Items sich handlungsleitende Einstellungen manifestieren, identifihierte Kratzsch clusteranalytisch im wesentlichen drei Lehrertypen:
Typ Il: Einen schülerzentrierten und belastbaren Lehrer(geduldig bei langsamen Lernfortschritten und schwachen
193